Month: März 2014

Hypersoziales Gezücht

Liebe Facebook-Freunde,

seid froh, dass ich kein Erdogan bin! Als verantwortlicher Alleinherrscher dieses Landes würde ich gewiss nicht nur Twitter, sondern auch noch andere Quellen unablässlichen Dünnpfiffs versiegeln. Beispielsweise die Apotheken-Rundschau und eben auch Facebook. Wie hirnamputiert muss man eigentlich sein, wie krank und fehlgeleitet, die wertvollste Ressource, die dem Menschen zur Verfügung steht, freiwillig zu vernichten? Die Einsamkeit! Was, wenn nicht widerwärtigste Hirn-Akne, könnte einen veranlassen, jedes erdenkliche Nichts mit allen erdenklichen Niemanden zu teilen? Muss der Mensch sozial sein bis zum Erbrechen? Wollt ihr die totale Kommunikation, wollt ihr die Plapper-Apokalypse, ihr schwachköpfigen, spießigen Ringelpiez-Taliban?

Seid froh, dass ich nicht euer Bestimmer bin, ihr Infantilen! Ich verordnete euch die Ressurektion euer selbst, schüfe asoziale Medien, führte Schweige-Parks ein, lautlose Büros und Wirklichkeit! Und verböte Smilies und Selfies.

Battersea Power Station

Gestern bin ich mit dem Zug von Wimbledon nach Waterloo gefahren. Ich war trostlos müde, die Leute im Abteil waren alle mit ihren Smartphones beschäftigt, die Luft war stickig, draußen zogen Vorstädte vorbei, über denen ein unentschlossener Regenhimmel hing. In Earlsfield setzte sich mir ein Mann aus einem anderen Jahrhundert gegenüber, ausgestattet mit Melone, Schirm, grauem Gehrock und einer steifen Oberlippe. Er nickte mir kurz zu, schlug die Beine übereinander und kramte erfreulicherweise kein Smartphone aus seinem Aktenkoffer. Wir beschlossen beide, fortan aus dem Fenster zu schauen. Ich war froh, dass es einen wie ihn noch gab, einen, der aus dem Fenster schaut. Er sollte der Vorbote des Surrealen sein.

Denn dann kam die Epiphanie! Aus dem Zugfenster sah ich plötzlich das Cover von Pink Floyd. Das von der Animals. Das Cover in echt! Ich sah es! Nur das fliegende Schwein, das sah ich nicht. Man kann nicht alles haben.

Natürlich habe ich immer schon gewusst, dass es die Battersea Power Station wirklich gibt, wer weiß das nicht. Aber mir war nicht klar, nicht im Entferntesten, wie wirklich wirklich sie ist. Wie da sie da ist. Sie ist so, wie soll ich sagen…
Wenn ich nicht schon vorher geschwiegen hätte, dann hätte ich in diesem Augenblich angefangen zu scheigen. So ist sie. Existent und verlassen. Als hätte auch sie sich im Jahrhundert geirrt.
Die Battersea Power Station. Und unglaublich: über ihr posierte der Regenhimmel exakt genauso unheilvoll und bedrohlich wie damals auf dem Pink Floyd Cover. Beinahe hätte ich den Mann mit der Melone gefragt, ob ihm eigentlich die Tragweite des Anblicks klar wäre. Aber ich habe es nicht getan.
BatterseaPowerPig

Vormittag

7:02 Uhr….Synchronöffnen des linken und rechten Auges.
7:03 Uhr….Sorgfältige Beobachtung der Zimmerdecke.
7:05 Uhr….GPS-freie Ortung des Geschlechtsteils.
7:05 Uhr….Erster Geistesblitz. (4 Picovolt)
7:16 Uhr….Verfügung in die Vertikale mittels purer Willenskraft.
7:18 Uhr….Auf-, bzw. Heimsuchung der Toilette.
7:19 Uhr….Zahnputz
7:20 Uhr….Zweiter Geistesblitz (4,4 Picovolt)
7:36 Uhr….Versieglung eines Vortagsbrötchens mit Margarine.
7:47 Uhr….Weltlage halbleise beklagt
7:50 Uhr….Fernbedienung in Sofaritze entdeckt.
7:58 Uhr….Universale Ungleichung definiert: Lambda ≠{ {8\pi G} \over {3c^2} } \rho
8:03 Uhr….Durchgeatmet.
8:19 Uhr….Die bisherigen Ereignisse Revue passieren gelassen.
8:52 Uhr….Konzentriertes Entspannungsdösen.
10:05 Uhr…Erneutes Magenknurren.
10:12 Uhr…Zum Kühlschrank gehetzt.
12.00 Uhr…Telefon klingeln gelassen.
12:01 Uhr…Vormittag abgehakt.

Man sieht: mit einem guten Zeitmanagement ist auch ein dicht gestaffeltes Tagesprogramm zu bewältigen!

Rechtswirksamer Standesdünkel

Immer öfter ist von Lebensleistung die Rede und zwar dann, wenn irgendwelche Privilegien begründet oder wenn Milde im öffentlichen oder richterlichen Urteil gegenüber Bessergestellten gefordert wird. Alle Menschen sind natürlich quasi gleich, aber nicht jeder kann eine inkommensurable Größe wie Lebensleistung zu seinen Gunsten beanspruchen (wie zuletzt  Hoeneß, Uli und Schavan, Annette ). Wo kämen wir hin, wenn jeder x-beliebige Verbrecher sich darauf beriefe, dass er, abgesehen von dem, was er verbrochen hat, nichts verbrochen hat und er deshalb – über den Daumen gegepeilt und lebensleistungsmäßig -, als Ehrenmensch zu betrachten sei!

Man täusche sich nicht: der Salomismus, die menschelnde Berücksichtigung lebensgeschichtlicher Verdienste, ist weder mild noch weise, sondern lediglich eine Form des Mia san Mia. Erstaunlich, wie wenig beanstandet die Vermessenheit des Begriffs Lebensleistung bleibt.

Arbeitsethos und lockere Sitten

Einmal – im Jahre 1861 – war es schwül und der Mond hing schwer wie ein Kürbis in der Pariser Nachtluft.  Da unterbreitete die Schauspielerin Suzanne Lagier dem älteren der Goncourt-Brüdern aus purer Langeweile ein konkretes Fickangebot. Edmond lehnte dies  mit der Begründung ab, er sei Schriftsteller und dürfe deshalb seinen Beobachtungsposten nicht aufgeben, sich nicht in Leidenschaften verstricken etc. Vielen Dank also für das Angebot, aber nein, geht nicht.

Die Lagier trieb es darauf noch in der gleichen Nacht mit Turgenjew, der zwar auch Schriftsteller war, Goncourts Bedenken aber nicht teilte.

Brief an den Kater

Lieber Jules,

wenn du diese Zeilen liest, wirst du dich fragen, was eigentlich los ist. Gute Frage, Jules, was ist eigentlich los? Nun, ich werde es dir verraten.

Du befindest dich in genau diesem Augenblick in einem Karton, einem dunklen, ruckelnden Karton. Sollte der Karton übrigens feucht sein, dann ist dir wohl ein Malheur passiert, als ich dich da gestern reingesteckt habe, war er jedenfalls noch trocken. Aber egal. Du befindest dich in einem Karton und du bist auf dem Weg in deine neue Heimat. Ein schönes rumänisches Tierheim habe ich für dich ausgesucht, da kommste jetzt hin, mein Lieber.

Klage nicht, mein Kater, es hätte auch schlimmer kommen können. Wie oft lag ich frühmorgens in meinem Bett und wie oft promenierten weniger katzenfreundliche Lösungen vor meinem inneren Auge! Solltest du dich fragen, was du falsch gemacht hast (ich bezweifle, daβ du das tust) gebe ich dir gerne einen Hinweis:

Erinnerst du dich an meine flehentlichen Bitten, nicht ständig und unentwegt und immer und immer um 6 Uhr, in aller Herrgottsfrühe, vor meiner Schlafzimmertür zu miauen als hätte man dir einen Schaschlikspieβ in deinen gottverdammten Katerarsch gerammt? Erinnerst du dich daran?

Nein, du erinnerst dich natürlich nicht daran. Weil du nämlich deine Lauscher prinzipiell immer auf Durchzug gestellt hast, wenn es um etwas anders als Mäuserascheln ging. Oder um das Öffnen der Futterdose.

Und nun bin ich einfach am Ende mit meinen Kräften! Ich kann nicht mehr. Verstehst du, Jules, eine Beziehung, in der die Partner sich nicht mehr zuhören, kann einfach nicht funktionieren! Das kannst Du in jedem Fachbuch nachlesen. Ist so.

Sei nicht traurig, nimm deine neue Situation als Herausforderung, an der du persönlich wachsen kannst. Und wer weiβ, vielleicht bleibst du nicht lange allein in Rumänien. Wenn dein Frauchen weiterhin mittwochs das Fernsehprogramm bestimmen will, schicke ich sie Dir demnächst einfach hinterher!

Alles Gute,
dein Halbmast

SMS

(08:04 Uhr) Vater, der nett und verständnissvoll ist:

Habe soeben dein Portemonnaie im MÜLLEIMER gefunden. Darf ich das Geld behalten?

(08:05 Uhr) Sohn, den du in der Pfeife rauchen kannst:

Du kannst es gerne einfach auf mein Bett legen, wenn dir der Aufbewahrungsort missfällt.

(9:59 Uhr) Vater, der nicht weiß, was er falsch gemacht hat:

Besitz macht unfrei. Ich tu’s wieder in den Müll.

(10:09 Uhr) Sohn, den du in der Pfeife rauchen kannst:

Danke.