Ex post ist alles so gekommen, wie es kommen musste, d.h. es ist ungefähr so gekommen, wie es nicht völlig ausgeschlossen war, dass es kommen würde. Im Nachhinein jedoch hätte man wissen müssen, dass man etwas ahnte. Etwas Pi mal Daumen Unweigerliches ahnte.
Unser Gastgeber hatte eigens für das Halbfinale einen gigantischen Flachbildfernseher gekauft, Hektoliter Bier besorgt und eine robuste Festzeltgarnitur auf der Terrasse aufgestellt. Alles war vorbereitet, alle waren da. Alle heißt: einige Freunde waren da und Steve. Denn das war seit jeher die gültige Definition für alle: einige – irgendwelche einige – plus Steve.
Wir erwarteten ein ausgeglichenes Spiel mit unsicherem Ausgang. Nur unser Freund T. erwartete einen klaren Sieg der Spanier, aber T. ist halt Spanier, gebürtiger Malaganese, und zählte an diesem Abend nicht. Wir ermahnten ihn zur Zurückhaltung während des Spiels, zur ausnahmsweisen Bändigung seines südländischen Temperaments und kündigten ihm bei Mißachtung den sofortigen Rauswurf an. Steve verlieh der Drohung gewohnt dezent Nachdruck: Du hältst ab sofort und für den Rest des Abends die Schnauze, du dreckiger Spanier! Capito?
Von mir abgesehen, tranken alle. Bier, Bier und nochmals Bier. Es wurde gegrillt. Steve hielt wie immer lange Vorträge, diesmal ging es um Buschbrände, geröstete Antilopen und das Hirnvolumen des Frühmenschen und das Grillen als eigentlichen Anfang der Kulturgeschichte. Und das es dem Alpha-Männchen, dh. ihm selbst, vorbehalten wäre, sich das erste Grillgut zu nehmen, etc. In der 73. Minute köpfte Puyol zum 1:0 für die Spanier und wir alle schauten zu T. , der sich nicht mehr traute zu jubeln. Nur ein kleines bisschen jubelt er und diese Zurückhaltung musste man diesem fanatischem, spanischem Kindskopf sehr zugute halten.
Nach dem Spiel waren wir nicht übermäßig frustriert. Die Spanier waren einfach zu stark gewesen, was gab es da zu lamentieren oder zu bedauern? Steve gelang es sogar uns alle einigermaßen aufzumuntern, indem er fortan und lautstark und unaufhörlich die Spanier im Allgemeinen und T. im Besonderen aufs Gröbste beleidigte. Auf seine unvergleichliche Art: mit seiner kraftstrotzenden, fintenreichen Rhetorik, seinen unberechenbaren und entwaffnenden Perspektivwechseln, seinem subtilen Timing, mit dem üblichen Blitzen in seinen Augen und seinem dreckigen, röhrenden Lachen.
Irgendwann schnappte ich ihn mir und fuhr ihn nach Hause. Auf der Fahrt dozierte er, dass es mit den Spaniern bergab ginge und dass unserem Team die Zukunft gehöre. Das sei absolut sicher. Für 2014 prognostizierte er den WM-Titel! Nicht mehr und nicht weniger. Und er würde sich dann – da gäbe es kein Pardon! – den WM-Pokal auf – das sei dermaßen definitiv! – auf sein Glied tätowieren lassen. Jawohl, in Originalgröße! Da wird meine Frau Augen machen! Pass auf, du Spast, sagte er als er austieg, wir werden 2014 Weltmeister.
Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen. Fünf Tage später ist er gestorben. Pass auf, du Spast, wir werden 2014 Weltmeister! Steve glaubte, dass man höchstens die Vergangenheit prophezeihen könne, die Zukunft sei natürlich nicht vorhersagbar. Obwohl ich seine Meinung teile, hat mich der Ausgang der Weltmeisterschaft nicht überrascht. Wer nur ein bisschen Kompetenz im Kopf hat, konnte nichts anderes erwarten. Überraschend waren nur das Drum und Dran, die lästigen Einzelheiten, das Spiel, das dem Ergebnis vorausgehen musste. Überraschend war, dass Schweinsteiger und Kroos und Löw es nicht vermasselt haben.
So wie ich es vorhergesagt hatte.
PS. Die anderen angekündigten Aspekte meines WM-Fazits fallen unter Geringfügigkeit und weg.
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