Ist einer päpstlicher als der Papst, wird es ihm nur selten gedankt – schon gar nicht vom Pontifex selbst. Insofern erscheint’s mir nur niedergradig stupend zu lesen, was ich gestern lesen musste, nämlich dass Papst Franziskus seinem obersten Glaubenshüter die Papiere überreichen wird. Offenbar hat Donald Trumps Visite im Vatikan im Hinblick auf Personalführung beim Papst doch mehr Eindruck hinterlassen, als man zunächst vermuten konnte: Müller, you’re fired!
Wenn ich mich recht erinnere, zweifelte Franziskus ja schon vor geraumer Zeit seine eigene Infallibilität an. Nun zeigt sich, dass er mit seiner Einschätzung richtig lag, denn der Rausschmiss des Glaubenspräfekten Müller ist natürlich schon ein dicker Patzer, gewissermaßen ein Kardinalfehler. Schließlich hat der Mann stets eine klare Line verfolgt, was in Zeiten wie den unsrigen schon an sich ein ehrenwertes Alleinstellungsmerkmal ist. Und geht es nicht im Glauben genau darum: eine klare Linie zu verfolgen? Ich bin kein Fachmann, aber es ist doch so. Oder?
Vor ungefähr einem Jahr hatte ich Gelegenheit einem Vortrag von Kardinal Müller beizuwohnen, ich verfasste anschließend einen Kognitive-Dissonanz-Verarbeitungstext, der aber überraschenderweise Fragment blieb und es nicht in diesen Blog schaffte. Nun scheint mir die Zeit reif, endlich das Unfertige als Unfertiges zu akzeptieren und als passende Reminiszenz an den Kardinal Müller hier anzufügen:
Selbst im Sitzen steht der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre wie eine Eins! Die Subalternen, die Fans, die Journalisten, die Zuhörer ringsum – allesamt erscheinen sie schmächtig im direkten körperlichen Vergleich und noch schmächtiger an Haltung. Der Kardinal sitzt nicht, er ragt. Seht, der Glaubensfels in der Brandung des Relativismus! Leichthin gravitätisch, dem situativen hustle abhold, fast reglos, den Kopf erhoben, vage ernst vage lächelnd, lauschend den offiziellen Begrüßungsworten, deren überüberübermäßige Ehrerbietung ihn nicht im Geringsten zu affizieren scheint.
Als der Kardinal sich zum Rednerpult begibt, verkneift er sich jedes Schreiten. Der Kardinal schreitet mitnichten, er geht einfach. Was nicht heißt, dass sein Gehen ein Gehen wäre in der Art von Hinz und Kunz, also ein Wankeln zwecks Ortswechsel, nein, so ist es auch nicht. Sein Gehen gleicht vielmehr einem gemessenen Transzendieren von Raum und Zeit. Er ignoriert das Trepplein zur Bühne und nimmt den direkten Weg mit einem juvenilen Sprünglein, dem Publikum stockt kurz die Luftzufuhr und mir wird klar, dass ich mich auf eine große Show gefasst machen darf. Zu diesem Eindruck trägt nicht zuletzt die modische attitude des Präfekten bei, dessen extrabreites, rotes Press-Zingulum und dessen mächtig güldener Kettenschmuck jeden Rapper Respekt, wenn nicht gleich puren Neid abnötigte.
Als der Kardinal zum Vortrag ansetzt, befinde ich mich noch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Aber das soll sich schnell ändern…
Es folgt ein 60-minütiges Best-of-Glaubenslehre, vorgetragen mit ruhiger und angenehmer, gütig-gelangweilter Stimme, die der Kardinal nur andeutungsweise hebt, beispielsweise beim Geißeln des „postmodernen Relativismus“ und anderer Irrwege.
Nach vier Minuten befinde ich mich in einer Art Trance und nach fünf Minuten habe ich mich ein bisschen in Kardinal Müller verliebt! Welch eine schöne, klare und verführerisch unzeitgemäße Sprache! Er spricht vom aufsässigen „Stolz der menschlichen Vernunft“, von der Identität, die kein „Selbstbesitz“ sei und von der Liebe, in der sich erst das Person-Sein des Menschen vollende – Hach! Seufz! – und von der entis analogia und von der Einheit von Vernunft und Glauben und vom Geist, der die Materie als das Andere seines Selbsts erkennt- wo hört man heutzutage schon dergleichen Edles und Sperriges? Worte mit hoher Wertanmutung und Aplomb. Alles klingt, als würde es irgendeinen Sinn ergeben!
Seine Gebärden sind minimalistisch, beschränkt auf das absolut Notwendige. Gelegentlich eine Hand, die sich leicht öffnet: nach unten zum Abwägen, nach oben zum Offenbaren. Wenn seine Argumentation besonders heikel wird, nimmt sein Vortrag einen leicht leiernden Ton an. Dieser Mann ist die kragensteife Antithese zum Gebrauchtwagenhändler.
Die Wirklichkeit ist eine schnöde Last, die Wahrheit ein Trauma. Ich frage mich – Atheismus hin, Atheismus her – ob es nicht summa summarum vorteilhafter wäre zu glauben. So richtig fest zu glauben. Ich wäre willens, man müsste nur wissen, wie’s geht. Jaja – die Religion ist eine Absurdität sondergleichen, die Theologie ein Diskurs, der sein eigenes Objekt nicht bestimmen kann. Na und? Wäre es nicht eine enorme Erleichterung zu glauben und ist es letztlich nicht egal, worum es dabei geht? Warum sollen wir nicht in einer Parallellwelt leben, wenn wir uns alle nur fest an den Händen halten? Wenn es hilft? Und was kann ich tun, um diesen doofen, neunmalklugen Atheismus los zu werden? Was kann ich tun, damit mich nicht erst auf dem Sterbebett mein Unglauben reut?
Nach seiner lectio nimmt der Kardinal nur noch die offiziellen Dankesworte entgegen und verlässt die Bühne. Fragen sind nicht vorgesehen. Und wenn Fragen nicht vorgesehen sind, dann ist eben alles gesagt. Und wenn alles gesagt ist, dann bleibt alles beim Alten. Und wenn alles beim Alten bleibt, bleibe ich eben Atheist. Beziehungsweise etwas ähnliches. Denn ich weiß ja gar nicht einmal, was im Atheismus überhaupt konkret verneint wird.
Der Vortrag ist vorbei, der Kardinal hat seine Chance gehabt, ich hab meine Chance gehabt.
Seelenheil hin oder her: Ich bereute es bislang keinen Tag, aus dem Verein ausgetreten zu sein.
Letztes Jahr waren wir in Rom. Papst Franziskus hält Angelusgebet vor tausenden Anhängern. meine Frau – Protestantin! – lauscht tränengerührt: Welch ein beeindruckender Mann! flüstert sie ergriffen. Ich habe mich nicht scheiden lassen.
Sie ist vorgestern fünfzig geworden. Monatelang ging sie schwerst schwanger mit diesem Schichsal, es kulminierte anfang Juli in den Serpentinstraßen Korsikas, jedes 50-Verkehrsschild entlockte ihr Seufzen und Wehklagen, es waren nicht die engen Kurven. Die „Geburt“ verlief dann jedoch überraschend komplikationslos auf der Rückreise und zwar im eigens dafür angemieten Zimmer im: Domhotel Augsburg.
„40 ist das Alter der Jugend, 50 ist die Jugend des Alters“ lautet nun ihr Motto, gespendet von einer reiferen Arbeitskollegin. Morgen ist Feier mit 33 Gästen, es wird viel und wohl gut gegessen werden, ein Trost hienieden.
Ich habe mich nicht scheiden lassen.
Das ist ehrenwert. Allerdings scheint mir die kleine Schwärmerei deiner Frau Gemahlin für einen rüstigen Latino auch eine verzeihliche Bagatelle zu sein. Schwerer wiegt da schon das Vergehen, 50 zu werden! Die Meine wird Ende nächten Jahres die Toleranzgrenze überschreiten. Ich habe den Kindern bereits angekündigt, uns dann eine neue, jüngere Mutti zu suchen. Wenn das ganze Prozedere nur nicht so lästig wäre: Kennenlernen, Rumquatschen, Testbeischläfe, Spielregeln erklären, etc. Zudem gibt es keine Garantie, dass das Gesamtpaket langfristig dann auch wirklich deutlich besser wäre. Es ist schwierig…
Ich habe den Kindern bereits angekündigt, uns dann eine neue, jüngere Mutti zu suchen.
Ist das heutzutage wirklich so schlimm mit dieser Hotel-Mama-Mentalität? Dann würde ich mit der Beziehungsrenovierung vielleicht doch lieber noch ein paar Jahre abwarten, bis sie aus dem Haus sind. Dann kannst du bei den Auswahlkriterien die Mutterqualitäten hintanstellen und bei den Bewerberinnen den Fokus mehr auf andere Qualitäten lenken (Intellekt, Kochen, Hobbies usw.).
Wir haben hier ein geduldsfadenstrapazierendes, bezauberndes Nachzügler-Töchterchen: bis die aus dem Haus ist, dauert! Und dann lohnt es sich für mich womöglich nicht mehr, mir eine neue Frau zu besorgen. Ich hätte einfach früher die Reißleine ziehen müssen. Es geht auch weniger um die Optimierung irgendwelcher Qualitäten. Bei Intellekt und Hobbies und Optik, etc. gibt es keinen akuten Handlungsbedarf. Eventuell wünschte ich mir ein bisschen mehr Sensibilität und Verständnis für mein Recht auf Horizontallagerung und Inaktivität. Aber hauptsächlich geht es ums Prinzip. Ein Halbmast ist nicht mit einer Ü50erin liiert! Das ist erniedrigend für ein Alpha-Männchen!
Naja, bis es soweit ist, bleibt noch etwas Zeit. Positiv bewerte ich auch die neuen Gestaltungsmöglichkeiten, die es dank „Ehe für alle“ nun gibt. So lässt sich deutlich mehr Druck auf die Frauen ausüben und man kann bessere Rahmenbedingungen aushandeln. Entweder ich mache gar nichts mehr im Haushalt oder ich heirate einen meiner Kumpels! So einfach ist das heute.
… oder ich heirate einen meiner Kumpels!
Das wird der Kardinal aber nicht gutheißen, vermute ich. Schade, dass keine Fragen zugelassen waren.