EM Kompetenzseite

Endlich vorbei!

Das wahrscheinlich längste Fußballturnier aller Zeiten ist schließlich doch zu Ende gegangen. Man hatte zwischendurch ja schon alle Hoffnung verloren…

Ringen wir uns  ein kurzes Fazit ab, bevor diese Europameisterschaft dem wohlverdienten und zügigen Vergessen anheimfällt.

  1.  Wenn das Unterhaltsamste an einem Finale ein verletzter Spieler am Spielfeldrand ist, wenn herumflatternde Riesenmotten mehr Aufmerksamkeit erregen als das erratische Gekicke auf dem Feld, wenn man als Zuschauer den Eindruck gewinnt, nicht einem Fußballspiel sondern den Präliminarien einer nationalen Erweckung beizuwohnen, dann drängt sich die überaus berechtigte Frage auf, warum nur, warum – zum Henker – man sich diesen Scheiß überhaupt antut. Das eigene Versäumnis, mannhaft und fröhlich den Aus-Schalter betätigt zu haben, lässt nur eine zerknirschte Erkenntnis zu: diesseits und jenseits des Bildschirms kannte dieses Finale nur Verlierer!
  2. Heutzutage scheint es nicht mehr auszureichen, bei Torerfolg in ungeplanten Jubel auszubrechen. Ein Spieler, der etwas auf sich hält, d.h. der seine Vermarktungsoptimierung seriös betreibt, ist gut beraten, seine Spontanität mit Wiedererkennungseffekten zu versehen. Wobei die herkulinischen Posen eines Christiano Ronaldo (oder seinerszeit eines Mario Balotelli) im Vergleich zu den ausgefeilt narzisstischen Inszenierungen eines Payet, Pogba oder Griezmann nahezu kindlich naiv anmuten. Gottlob, blieben sie uns gestern erspart.
  3. Fußball und Haarmode gehören zusammen wie Krampfadern und Mutti. Doch während annodazumal eine schlichte Matte reichte oder später dann Blondsträhnchen langten um der Berufsehre zu genügen, ist der Fußballerschädel heute ganz dem Ornamentalen geweiht: fein ziselierter, kunstvoll gefärbter Zickzack und geschwungener Schnickschnack, der die individuelle Dynamik von Bedeutungslosigkeit und Willkür bannt! Wehe dem, der heutzutage ohne Tag-Frise aufläuft. Dem drohen Marktwertverluste im Millionenbereich!
  4. Wenn Fußball und Haarmode zusammengehören wie Krampfadern und Mutti, dann gehören Fußball und Tatoo zusammen wie Siegfried und Roy, bzw. wie Zwölf und Dutzend, bzw. wie Augstein und Bullshit, bzw. wie Erdogan und Ziege, bzw. wie Elfmeter und England.
  5. Die exotischen Schriftzeichen der Tintentenstiche auf den Fußballeroberkörpern und sonstwo mögen ewiglich kryptisch erscheinen und kaum ausdeutbar, doch sie sind es nicht. Sie bedeuten nämlich alle annäherungsweise Schnuckiputz und Kiss my Heini. Dies hat mir ein bekannter Fußballer unter vier Augen verraten.
  6. Die Franzosen haben verdientermaßen das Finale verloren, denn sie haben absolut unverdientermaßen das Halbfinale gewonnen.
  7. Die Isländer sind die Europameister der Herzen und die Deutschen die abstrakten Europameister, dh. Europameister auf höherer Erkenntnisstufe.
  8. Manchmal sitzt man vor dem Fernseher und fühlt sich wie ein Inkompetenter oder so als wäre all das Fachwissen für die Katz.

Negative Zumutung

Vergessen wir nicht zu wertschätzen, was uns bei dieser EM erspart bleibt: Michel Platini und seine Wegelagerer-Visage!

Bei früheren Turnieren saß der ja immer halbdösend auf der Ehrentribüne und wurde alle naselang von vagabundierenden Kameras erfasst. Da langte man dann immer unbewußt nach dem Portemonaie um zu sehen, ob es noch da ist.

Danke, dass das jetzt vorbei ist und man sich wieder unbeschwert auf die Spiele konzentrieren kann.

Eine klare Sache

Wenn Herr Löw – anders als 2012 – den Einflüsterungen seines Taktik-Dämons widersteht und die Spieler der deutschen Nationalmannschaft einfach ihr Handwerk praktizieren lässt, wenn er es diesmal unterlässt, in irgendwelchen Psychotöpfen zu rühren, dann werden wir heute Abend ein relativ langweiliges Spiel sehen. Dann werden wir ziemlich genau 3:0 gewinnen.

Man sollte es mit der Ehrehrbietung gegenüber den Italienern auch nicht übertreiben. Ja, sie haben gegen die Belgier und die Spanier überzeugt. Aber das waren eben auch zwei Mannschaften, die lange genug Zeitlupe, Pomadigkeit und Borniertheit trainiert haben, um dann zur besten Sendezeit live unterzugehen. Nein, heute läuft das anders für die alten Herren, da müssen sie sich dem juvenilen Impakt und der beeindruckenden Könnerschaft des Weltmeisters beugen.

(Leider sind wir heute Gäste auf einem Festbankett, so dass ich das Spiel nur heimlich auf meinem Smartphone verfolgen werden kann. Was soll’s – das Ergebnis steht eh quasi fest.)

Endlich Spaß

Na bitte, endlich wird Fußball gespielt. Gestern ein schönes Match, heute gleich zwei. Schade nur, dass England bloß einmal aus dem Turnier fliegen kann. Die Franzosen hätten das sicherlich auch gerne im Viertelfinale übernommen oder wir dann im Halbfinale.

Vielleicht sollten die eine Petition einreichen, das Islandspiel zu wiederholen?

Haarschmuck, Tintenstich und Allegorie

Es ist ein großer Unterschied, ob der Friseur zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besonderen das Allgemeine schaut.
Goethe

SchönesHaar

Das große Thema dieser Europameisterschaft ist zweifelesfrei Walter Benjamins Allegoriebegriff! Wer die Tag-Frise und den Oberkörper heutiger Fußballstars verstehen will, kommt nicht um den Griff zur Standardliteratur herum. Bis zum Finale am 10 Juli dürfen in keinem Handapparat fehlen:

Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Hrsg. Arthur Henkel/Albrecht Schöne

– Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels

– Harald Steinhagen:  Zu Walter Benjamins Begriff der Allegorie

– G.W.E. Hegel: Ästhetik

-Karl Marx: Das Manifest der kommunistischen Partei

Irgendwelche Germanisten hier? Wollt ihr euch nicht endlich mal nützlich machen? Oder muss ich wieder selber alle Zusammenhänge erklären?

Brexit

Jetzt herrscht Ratlosigkeit vor, in Finanzkreisen wird hyperventiliert, Panik ist der neue Goldstandard. Auch viele Fußballfans zeigen sich verunsichert. Was wird nun? Wie reagiert der Ball? Ist das Spiel nun aus?

Tragen wir angesichts dessen zur Beruhigung vor, was es Beruhigendes gibt. Denn vieles, eigentlich fast alles, remains wie der Brite sagt:

Weiterhin – und daran ändert die nationalistische Regression unserer Inselfeunde nicht die Bohne! – wird uns die englische Fußballnationalmannschaft mit ihrer unterhaltsamen Erfolglosigkeit erfreuen. Weiterhin – wie seit Adam und Eva – wird es beherzte und motivierte Auftritte der Three Lions geben mit dem dazugehörigen, unvermeidlichen Endfiasko.

Kein Fußballfan muss sich deshalb irgendwelche Sorgen machen. Wir werden an denen auch zukünftig unseren Spaß haben.

Ich weiß nicht

Ich weiß nicht, woran es liegt. An der Niedrigkeit meines Serotoninspiegels in Wechselwirkung mit der ermüdenden Abfolge von Städten und Hotels, durch die ich mich derzeit quäle? Liegt es an den schlechten LED-Fernsehern in den Hotelzimmern, am Mangel an Gesellschaft und am Mangel an Ehefrau? Liegt’s an der polymorphen Sinn- und Europakrise, am Totsein unseres schwarzen Katerchens, der stets unser abendlicher Schoßgast war oder schlicht am grottenschlechten Gekicke der Vorrunde?

Jedenfalls kann ich mit diesem Turnier nicht viel anfangen. Das Gras ist mir nicht grün, der Ball nicht rund genug, seine Delta Vs und seine Trajektorien missfallen mir und Mannschaften, die das ändern könnten, seh ich nicht. Die EM ist eine Serie neunzigminütiger Spielblockaden, die Ergebnisse eine Schande. Alle warten auf das Zappeln des Balles im Netz – aber nichts passiert. Gefühlt sind im ganzen Turnier bisher zwei oder drei Tore gefallen, man könnte meinen, in allen Teams spielen nur Russen und Österreicher.

Bin ich froß, dass die Vorrunde vorbei ist! Vielleicht wird es jetzt besser. Vielleicht haben die kommenden Gegner der deutschen Nationalmannschaft endlich mehr Lust, ein bisschen Fußball zu spielen. Vielleicht kriegt man ja doch noch irgendbald wild-hupende Autos spätabends in den Straßen zu hören…