Month: Juli 2017

Der Kardinal

Ist einer päpstlicher als der Papst, wird es ihm nur selten gedankt – schon gar nicht vom Pontifex selbst. Insofern erscheint’s mir nur niedergradig stupend zu lesen, was ich gestern lesen musste, nämlich dass Papst Franziskus seinem obersten Glaubenshüter die Papiere überreichen wird. Offenbar hat Donald Trumps Visite im Vatikan im Hinblick auf Personalführung beim Papst doch mehr Eindruck hinterlassen, als man zunächst vermuten konnte: Müller, you’re fired!

Wenn ich mich recht erinnere, zweifelte Franziskus ja schon vor geraumer Zeit seine eigene Infallibilität an. Nun zeigt sich, dass er mit seiner Einschätzung richtig lag, denn der Rausschmiss des Glaubenspräfekten Müller ist natürlich schon ein dicker Patzer, gewissermaßen ein Kardinalfehler. Schließlich hat der Mann stets eine klare Line verfolgt, was in Zeiten wie den unsrigen schon an sich ein ehrenwertes Alleinstellungsmerkmal ist. Und geht es nicht im Glauben genau darum: eine klare Linie zu verfolgen? Ich bin kein Fachmann, aber es ist doch so. Oder?

Vor ungefähr einem Jahr hatte ich Gelegenheit einem Vortrag von Kardinal Müller beizuwohnen, ich verfasste anschließend einen Kognitive-Dissonanz-Verarbeitungstext, der aber überraschenderweise Fragment blieb und es nicht in diesen Blog schaffte. Nun scheint mir die Zeit reif, endlich das Unfertige als Unfertiges zu akzeptieren und als passende Reminiszenz an den Kardinal Müller hier anzufügen:

Selbst im Sitzen steht der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre wie eine Eins! Die Subalternen, die Fans, die Journalisten, die Zuhörer ringsum – allesamt erscheinen sie schmächtig im direkten körperlichen Vergleich und noch schmächtiger an Haltung. Der Kardinal sitzt nicht, er ragt. Seht, der Glaubensfels in der Brandung des Relativismus! Leichthin gravitätisch, dem situativen hustle abhold, fast reglos, den Kopf erhoben, vage ernst vage lächelnd, lauschend den offiziellen Begrüßungsworten, deren überüberübermäßige Ehrerbietung ihn nicht im Geringsten zu affizieren scheint.

Als der Kardinal sich zum Rednerpult begibt, verkneift er sich jedes Schreiten. Der Kardinal schreitet mitnichten, er geht einfach. Was nicht heißt, dass sein Gehen ein Gehen wäre in der Art von Hinz und Kunz, also ein Wankeln zwecks Ortswechsel, nein, so ist es auch nicht. Sein Gehen gleicht vielmehr einem gemessenen Transzendieren von Raum und Zeit. Er ignoriert das Trepplein zur Bühne und nimmt den direkten Weg mit einem juvenilen Sprünglein, dem Publikum stockt kurz die Luftzufuhr und mir wird klar, dass ich mich auf eine große Show gefasst machen darf. Zu diesem Eindruck trägt nicht zuletzt die modische attitude des Präfekten bei, dessen extrabreites, rotes Press-Zingulum und dessen mächtig güldener Kettenschmuck jeden Rapper Respekt, wenn nicht gleich puren Neid abnötigte.

Als der Kardinal zum Vortrag ansetzt, befinde ich mich noch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Aber das soll sich schnell ändern…

Es folgt ein 60-minütiges Best-of-Glaubenslehre, vorgetragen mit ruhiger und angenehmer, gütig-gelangweilter Stimme, die der Kardinal nur andeutungsweise hebt, beispielsweise beim Geißeln des „postmodernen Relativismus“ und anderer Irrwege.

Nach vier Minuten befinde ich mich in einer Art Trance und nach fünf Minuten habe ich mich ein bisschen in Kardinal Müller verliebt! Welch eine schöne, klare und verführerisch unzeitgemäße Sprache! Er spricht vom aufsässigen „Stolz der menschlichen Vernunft“, von der Identität, die kein „Selbstbesitz“ sei und von der Liebe, in der sich erst das Person-Sein des Menschen vollende – Hach! Seufz! – und von der entis analogia und von der Einheit von Vernunft und Glauben und vom Geist, der die Materie als das Andere seines Selbsts erkennt- wo hört man heutzutage schon dergleichen Edles und Sperriges? Worte mit hoher Wertanmutung und Aplomb. Alles klingt, als würde es irgendeinen Sinn ergeben!

Seine Gebärden sind minimalistisch, beschränkt auf das absolut Notwendige. Gelegentlich eine Hand, die sich leicht öffnet: nach unten zum Abwägen, nach oben zum Offenbaren. Wenn seine Argumentation besonders heikel wird, nimmt sein Vortrag einen leicht leiernden Ton an. Dieser Mann ist die kragensteife Antithese zum Gebrauchtwagenhändler.

Die Wirklichkeit ist eine schnöde Last, die Wahrheit ein Trauma. Ich frage mich – Atheismus hin, Atheismus her – ob es nicht summa summarum vorteilhafter wäre zu glauben. So richtig fest zu glauben. Ich wäre willens, man müsste nur wissen, wie’s geht. Jaja – die Religion ist eine Absurdität sondergleichen, die Theologie ein Diskurs, der sein eigenes Objekt nicht bestimmen kann. Na und? Wäre es nicht eine enorme Erleichterung zu glauben und ist es letztlich nicht egal, worum es dabei geht? Warum sollen wir nicht in einer Parallellwelt leben, wenn wir uns alle nur fest an den Händen halten? Wenn es hilft? Und was kann ich tun, um diesen doofen, neunmalklugen Atheismus los zu werden? Was kann ich tun, damit mich nicht erst auf dem Sterbebett mein Unglauben reut?

Nach seiner lectio nimmt der Kardinal nur noch die offiziellen Dankesworte entgegen und verlässt die Bühne. Fragen sind nicht vorgesehen. Und wenn Fragen nicht vorgesehen sind, dann ist eben alles gesagt. Und wenn alles gesagt ist, dann bleibt alles beim Alten. Und wenn alles beim Alten bleibt, bleibe ich eben Atheist. Beziehungsweise etwas ähnliches. Denn ich weiß ja gar nicht einmal, was im Atheismus überhaupt konkret verneint wird.

Der Vortrag ist vorbei, der Kardinal hat seine Chance gehabt, ich hab meine Chance gehabt.