Das Brot ohne Eigenschaften

Zwei freundliche Hotelgäste – sie geben sich als schwedische Geschäftsmänner zu erkennen – setzten sich zu mir an den Frühstückstisch. Als mein Blick auf ihren Teller fällt, wünschte ich, ich wäre ein besserer Kontingenzbewältiger. Da ist etwas, für das es keine vernünftige Erklärung gibt, etwas, wofür ich frühmorgens nicht gerüstet bin. Da sind je zwei Scheiben Graubrot auf ihrem Teller. Mit feuchter Salami und Margarine.

Salami und Margarine ließen sich ja noch als bloße Geschmacklosigkeit auffassen, das Graubrot aber ist eine Kriegserklärung an die Lebensfreude, eine Dingwerdung des Nihilismus.

Um es klar zu sagen: das Buffet liefert keinerlei Entschuldigung dafür, das biegt sich unter der Last lecker Gaben! Da gibt es Käse bis zum Abwinken, Honig, Konfitüren, gekochten Schinken, Parmaschinken, Mortadella, Chorizo, luftgetrocknete Walnussalami, Spiegeleier und Speck, Joghurts und sogar Müsli. Und vor allem gibt es da richtiges Brot, kräftiges, knuspriges, duftendendes Brot, Schwarzbrot und Baguette und Brötchen und Mehrkornbrötchen gibt es da. Alles, was das Herz begehrt.

Und was machen diese schwedischen Honks? Wie vom bösen Demiurgen ferngesteuert greifen sie zum Graubrot, zu spotten und zu verhöhnen des Lebens pralle Vielfalt. Was übler ist am Graubrot, weiß ich nicht: sein trister, final-entropischer Teig oder der industriell, makellose Schnitt seiner Scheiben.

Brot gehört gebrochen oder krumm und schief geschnitten, aber sicher nicht in gelaserten Portionen dargereicht! Einen Augenblick überlege ich, das Thema anzusprechen – auch die Sache mit der feuchten Salami -, dann fällt mir ein, dass die beiden freundlichen Herren aus einem Land kommen, wo man ohne Wimpernzuck fermentierten Hering verzehrt.

Als ich mich vom Frühstückstisch verabschiede, nehme ich mir fest vor, die Kunst der negativen Aufmerksamkeit besser zu lernen.

3 comments on “Das Brot ohne Eigenschaften

  1. Alaska 10. Mai 2014 19:42

    „… nehme ich mir fest vor, die Kunst der negativen Aufmerksamkeit besser zu lernen.“

    Dann hier eine Anleitung dazu:

    „… Wiederum, mit dem völligen Überwinden des Gebiets von Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung tritt der Bhikkhu in das Aufhören von Wahrnehmung und Gefühl ein und verweilt darin. Und seine Triebe sind vernichtet durch sein Sehen mit Weisheit. Man sagt, dieser Bhikkhu habe Māra geblendet, er sei für den Bösen unsichtbar geworden, indem er das Auge Māras seiner Gelegenheit beraubt hat, und er habe die Verstrickung in die Welt hinter sich gelassen.“

    (Majjhima Nikāya 25 – Der Köder – Nivāpa Sutta)

    Normierte (!) Kontingenzbewältigung, vor ca. 2500 Jahren erstmals beschrieben, ein echter Klassiker.

    (Wobei ich ja Matjes-Fan bin, ehrlich gesagt.)

Leave a Reply

Your email address will not be published.

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.