Miles and More 1 (Saint-Remy-de-Provence)

Der Himmel ist schockierend blau, die Sonne scheint. Ein unüberschaubar großer Garten mit Zypressen, Platanen, provencalischem Gesträuch und botanischem Kitsch. Vögel zwitschern, irgendwo müssen Teiche sein, man hört Frösch quacken. Ein ganz leichtes Lüftchen weht. Der Windhauch ist ein Liebesakt.

Im abgelegeneren Teil des Gartens habe ich einen Flegelsessel gefunden. Dort sitze ich jetzt und lese antike Horrorliteratur:

„Λοπαδοτεμαχοσελαχογαλεοκρανιολειψανοδριμυποτριμματ ο-
σιλφιολιπαρομελιτοκατακεχυμενοκιχλεπικοσσυφοφαττοπ εριστερα-
λεκτρυονοπτοπιφαλλιδοκιγκλοπελειολαγωοσιραιοβαφητρ αγανοπτερυγών“

Grundgütiger!

Die Frösche quaken mittlerweile dermaßen laut, dass man sich kaum noch konzentrieren kann. Warum der Lärm? Es ist absurd, es könnte Frieden herrschen. Ich komm gleich rüber, ihr Grünglitschigen!

Ich trinke eine Citronade á la menthe. Ich frage mich, ob ich mein Leben ändern muss und im Augenblick würde ich sagen: ja, aber nur ein bisschen. Also weiter im Text.

„Austernschneckenlachsmuränen-Essighonigrahmgekröse-Butterdrosselnhasenbraten-Hahnenkammfasanenkälber-Hirnfeldtaubensiruphering-Lerchentrüffelgefüllte Schüssel “

Aha. Ein Hotelangestellter kommt vorbei, ich grüße ihn und lese weiter, trinke meine Citronade, lese wieder, betrachte das Wiegen der Zypressen und mag den Sex, den der Wind mit allem und jedem und mir hat.

Mir fällt auf, dass sich die Szene wiederholt. Der Hotelangestellte kommt alle 15 Minuten an meinem Flegelsessel vorbei, wir grüßen uns mit einem Lächeln, dass immer gezwungener wird – soll das ewig so weitergehen?

Jetzt verstehe ich, er geht rüber zum Pool. Als er zum viertenmal passiert, frage ich ihn, ob er nachschaut, ob im Pool Leichen auf dem Wasser treiben.

Pardon, monsieur?

Man muss wissen: in diesem Hotel sind in dieser Jahreszeit hauptsächlich gutbetuchte Pensionäre abgestiegen, Typen die in weinroten Lacoste-Polos und hellen Chinos rumlaufen. In ihrer Begleitung normalerweise gepflegte Mumien oder Damen, die definitiv zu jung für sie sind.

Da wäre es doch nicht erstaunlich, wenn einer mal tot im Pool triebe, erkläre ich dem Hotelmann. Er schaut mich völlig konsterniert an, ringt sich schließlich ein gequältes Lächeln ab.

Ah, ein Scherz von Monsieur!

Ja, ein Scherz. Ich hatte es gut gemeint, wollte die Situation ein bisschen auflockern – und habe alles schlimmer gemacht. Wir lächeln uns an wie auf diplomatischen Parkett, das hat man von Freundlichkeit.

Ich gehe rüber zur Hotelbar. Aristophanes ist langweilig, die Cirtonade ist alle, ich hab’s vermasselt, Zeit für einen gutgekühlten Rosé.

Leave a Reply

Your email address will not be published.

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.