Sein und Reim

Das Augenlicht ist ein wunderbares Geschenk, trotzdem wünschte ich manchmal, ich wäre blind. Dann hätte ich nämlich folgendes Plakat nicht gesehen:

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Doch ich habe es gesehen und das Bild ist da und mit ihm die Angst, dass es nie wieder aus aus meinem Kopf verschwindet, dass der Schaden irreversibel ist, dass meine Augen es nie wieder gutmachen können, was sie meinem Hirn gezeigt haben, ganz gleich, was sie für den Rest meines Lebens noch erblicken. Doch das Bild ist nun da und ich muss das Beste aus der Situation machen, Verzagen ist keine Option. Das Bild ist da und wer dazu schweigt, macht sich schuldig.

Ich weiß natürlich nicht auf welche mysthischen Erfahrungen Matthias Reim sich bei der Rede von der LEICHTIGKEIT DES SEINS bezieht. Wenn ich mich recht entsinne, hatte er ja schon in den 90er Jahren mit seiner Borderline-Hymne ¨Verdammt, ich lieb dich, ich lieb dich nicht, verdammt, ich brauch dich, ich brauch dich nicht¨ die Grenzen des gesunden Menschuenverstandes ausgelotet, doch scheint es mir, dass wenn es überhaupt so etwas wie SEIN gibt und nicht bloß SEIENDES, dass dann Leichtigkeit keinesfalls eine Eigenschaft ist, die diesem SEIN wesenhaft zukommt, sondern höchsten eine gewisse bumsfidele Bedeutungslosigkeit. Leichtigkeit hi und bumsfidele Bedeutungslosigkeit da, Herr Reim, was gibt es da zu verwechseln?

Alles ist zum Mäusemelken. Die unaufhebliche Seinsschwere bestätigt sich auch prompt dort am Dollsten, wo sie juvenil geleugnet wird. Auf der Bildebene. Ebensowenig wie ein ernstzunehmender Existenzteilnehmer den Last- und Lastercharakter des Seins bestreiten kann, vermag irgendjemand das Reimsche Konterfei mit LEICHTIGKEIT zu assozieren. Vieles kommt einem da in den Sinn; Zauseltum, Stehaufmännchenqualität, Bleivergiftung, Frisuren-GAU, Altersrestgeilheit – aber gewiss nicht Leichtigkeit.

Wenn Reim doch nur von diesem albernen Anti-Heidegger-Trip käme. Und mehr Benn wagte! Statt DIE LEICHTIGKEIT DES SEINS auf DIE LEERE UND DAS GEZEICHNETE ICH umsattelte!

Dann stimmte doch endlich die Text-Bild-Mechanik. Dann hätte alles wieder Sinn. Und das Sein wäre zwar immer noch nicht leicht, aber etwas leichter immerhin.

9 comments on “Sein und Reim

  1. Alaska 18. September 2014 21:49

    Vermutlich ist es ironisch gemeint mit der Leichtigkeit des Seins.

    Und überhaupt heißt es doch: Vater werden ist nicht schwer, …

    • Halbmast 20. September 2014 8:11

      Ironie? Reim? Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen.

      • Alaska 22. September 2014 8:09

        Nein, Reim selbst hat sich das natürlich nicht ausgedacht.

        Seine Agentur. Die die Penunzen einsammeln.

        • Halbmast 22. September 2014 8:57

          Oh Mann! Und ich dachte „Die Leichtigkeit des Seins“ sei ein musikalische Auseinandersetztung mit Heideggers „Sein und Zeit“, sozusagen ein kritisches Statement aus Lebemann-Perspektive.

          Hört das denn nie auf bei mir mit dem Danebenliegen? Schluchz!

          • Alaska 22. September 2014 14:15

            Wieso ausgerechnet Heidegger?

            Wieso nicht Parmenides, Platon, Plotin, Hume, Kant Fichte, Hegel?

            Hatten die nix mit Sein am Hut?

            • Halbmast 23. September 2014 10:01

              Weil die Verwendung des Begriffs „Sein“ in Heideggers „Fundamentalontologie“ den absolut größtmöglichen Kontrast zur Verwendung des Begriffs „Sein“ in Reims „Fundamental-Banalogie“ darstellt. Ich habe lediglich zusammengeführt, was sich der Zusammenführung widersetzt, in der Hoffnung auf gegenseitige Diskreditierung. Möge sich der Begriffs-Scheiß selbst vernichten!

              Anders ausgedrückt: Reim und Sein gehen mir gleichermaßen auf den Sack.

  2. Halbmast 23. September 2014 10:07

    Kant z.B. interessiert sich für „das Sein“ überhaupt nicht. Und da Kant schlauer ist als wir alle, sollten wir es ihm gleichtun.

    (Auch Hegel erklärt lapidar: das Sein ist das unmittelbar Gegebene und Basta. Kommen wir nun zu den wichtigen Fragen…)

  3. Alaska 23. September 2014 22:16

    Von Leichtigkeit scheint bei Heidegger tatsächlich keine Rede zu sein.

  4. Alaska 24. September 2014 6:45

    Es ist ja nicht nur die Frage, ob es Sein über Seiendes hinaus überhaupt gibt, sondern auch, wie viel Seiendes es hinter Sein dann noch geben mag. Jenes wiederum könnte durchaus dem Attribut „Leichtigkeit“ gerecht werden:

    „Freunde, was ist das Windelement? Das Windelement kann entweder innerlich oder äußerlich sein. Was ist das innere Windelement? Was immer an inneren, zu einem selbst gehörenden Dingen, Wind, windartig und Objekt der Anhaftung ist, also aufsteigende Winde, absteigende Winde, Winde im Bauch, Winde in den Därmen, Winde, die durch die Glieder verlaufen, Einatmung und Ausatmung, oder was sonst noch an inneren, zu einem selbst gehörenden Dingen, Wind, windartig und Objekt der Anhaftung ist: dies nennt man das innere Windelement. Sowohl das innere Windelement, als auch das äußere Windelement sind einfach nur Windelement. Und das sollte mit angemessener Weisheit der Wirklichkeit entsprechend gesehen werden: ‚Dies ist nicht mein, dies bin ich nicht, dies ist nicht mein Selbst.‘ Wenn man es mit angemessener Weisheit so der Wirklichkeit entsprechend sieht, wird man gegenüber dem Windelement ernüchtert und macht den Geist begierdelos in Bezug auf das Windelement.“

    „Nun kommt einmal die Zeit, in der das äußere Windelement in Unordnung gerät. Es fegt Dörfer, Marktstädte, Großstädte, Bezirke und Länder hinweg. Es kommt die Zeit im letzten Monat der heißen Jahreszeit, in der sie versuchen, Wind mittels eines Fächers oder Blasebalgs zu erzeugen, und sich sogar die Strohfasern am Tropfsaum des Strohdachs nicht bewegen. Wenn sogar dieses äußere Windelement, groß wie es auch ist, als vergänglich gesehen wird, als der Vernichtung, dem Verschwinden und der Veränderung unterworfen, um wieviel mehr dann dieser Körper, an dem durch Begehren angehaftet wird, und der nur kurze Zeit überdauert? Jenes kann nicht als ‚Ich‘ oder ‚Mein‘ oder ‚Ich bin‘ betrachtet werden.“

    (Majjhima Nikāya 28: Die längere Lehrrede vom Gleichnis von der Elefantenspur)

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