07.07.2010 (WM-Fazit)

Ex post ist alles so gekommen, wie es kommen musste, d.h. es ist ungefähr so gekommen, wie es nicht völlig ausgeschlossen war, dass es kommen würde. Im Nachhinein jedoch hätte man wissen müssen, dass man etwas ahnte. Etwas Pi mal Daumen Unweigerliches ahnte.

Unser Gastgeber hatte eigens für das Halbfinale einen gigantischen Flachbildfernseher gekauft, Hektoliter Bier besorgt und eine robuste Festzeltgarnitur auf der Terrasse aufgestellt. Alles war vorbereitet, alle waren da. Alle heißt: einige Freunde waren da und Steve. Denn das war seit jeher die gültige Definition für alle: einige – irgendwelche einige – plus Steve.

Wir erwarteten ein ausgeglichenes Spiel mit unsicherem Ausgang. Nur unser Freund T. erwartete einen klaren Sieg der Spanier, aber T. ist halt Spanier, gebürtiger Malaganese, und zählte an diesem Abend nicht. Wir ermahnten ihn zur Zurückhaltung während des Spiels, zur ausnahmsweisen Bändigung seines südländischen Temperaments und kündigten ihm bei Mißachtung den sofortigen Rauswurf an. Steve verlieh der Drohung gewohnt dezent Nachdruck: Du hältst ab sofort und für den Rest des Abends die Schnauze, du dreckiger Spanier! Capito?

Von mir abgesehen, tranken alle. Bier, Bier und nochmals Bier. Es wurde gegrillt. Steve hielt wie immer lange Vorträge, diesmal ging es um Buschbrände, geröstete Antilopen und das Hirnvolumen des Frühmenschen und das Grillen als eigentlichen Anfang der Kulturgeschichte. Und das es dem Alpha-Männchen, dh. ihm selbst, vorbehalten wäre, sich das erste Grillgut zu nehmen, etc. In der 73. Minute köpfte Puyol zum 1:0 für die Spanier und wir alle schauten zu T. , der sich nicht mehr traute zu jubeln. Nur ein kleines bisschen jubelt er und diese Zurückhaltung musste man diesem fanatischem, spanischem Kindskopf sehr zugute halten.

Nach dem Spiel waren wir nicht übermäßig frustriert. Die Spanier waren einfach zu stark gewesen, was gab es da zu lamentieren oder zu bedauern? Steve gelang es sogar uns alle einigermaßen aufzumuntern, indem er fortan und lautstark und unaufhörlich die Spanier im Allgemeinen und T. im Besonderen aufs Gröbste beleidigte. Auf seine unvergleichliche Art: mit seiner kraftstrotzenden, fintenreichen Rhetorik, seinen unberechenbaren und entwaffnenden Perspektivwechseln, seinem subtilen Timing, mit dem üblichen Blitzen in seinen Augen und seinem dreckigen, röhrenden Lachen.

Irgendwann schnappte ich ihn mir und fuhr ihn nach Hause. Auf der Fahrt dozierte er, dass es mit den Spaniern bergab ginge und dass unserem Team die Zukunft gehöre. Das sei absolut sicher. Für 2014 prognostizierte er den WM-Titel! Nicht mehr und nicht weniger. Und er würde sich dann – da gäbe es kein Pardon! – den WM-Pokal auf – das sei dermaßen definitiv! – auf sein Glied tätowieren lassen. Jawohl, in Originalgröße! Da wird meine Frau Augen machen! Pass auf, du Spast, sagte er als er austieg, wir werden 2014 Weltmeister.

Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen. Fünf Tage später ist er gestorben. Pass auf, du Spast, wir werden 2014 Weltmeister! Steve glaubte, dass man höchstens die Vergangenheit prophezeihen könne, die Zukunft sei natürlich nicht vorhersagbar. Obwohl ich seine Meinung teile, hat mich der Ausgang der Weltmeisterschaft nicht überrascht. Wer nur ein bisschen Kompetenz im Kopf hat, konnte nichts anderes erwarten. Überraschend waren nur das Drum und Dran, die lästigen Einzelheiten, das Spiel, das dem Ergebnis vorausgehen musste. Überraschend war, dass Schweinsteiger und Kroos und Löw es nicht vermasselt haben.

So wie ich es vorhergesagt hatte.

 

PS. Die anderen angekündigten Aspekte meines WM-Fazits fallen unter Geringfügigkeit und weg.

4 comments on “07.07.2010 (WM-Fazit)

  1. Sabine 24. Juli 2014 15:46

    Lieber Halbmast, ich war an dem besagten Abend ja nicht zugegen. Ich bin aber sehr froh, dass ich nicht wusste, was Steve mit gewissen Körperteilen so vor hatte. Fest stand für mich aber auch, dass wir Weltmeister werden, so wie er es vorausgesagt hatte. Übrigens hat er Vettels ersten Titel in 2010 auch angekündigt und Recht behalten…….so wie immer? Eine starke Behauptung ist halt immer besser als ein schwacher Beweis! 😉

  2. Halbmast 24. Juli 2014 18:02

    Tja, es sollte halt eine Überraschung werden. Die Sache mit dem Tattoo hat er übrigens noch weiter ausgeschmückt – Jugenschutz und Etikette verbieten mir, darauf näher einzugehen…

    Leider ist es völlig zwecklos, ihn zu zitieren, wenn man ihn nicht mehr exakt zitieren kann. Entscheidend und unnachahmlich waren ja immer auch die Feinheiten seiner „Grobheiten“.

    Eine der vielen Dinge, die ich vermisse: seine mtreißende Leidenschaft für steile Thesen! Steil, aber durchdacht. Und immer eloquent und kampfeslustig vorgetragen! Und da gab es oft diesen Steve-Moment: wenn er am Ende sich selber mit seinen eigenen Argumenten zu überzeugen begann. Dann lachte er auf und stellt einfach eine neue These in den Raum. Noch gewagter, noch haarsträubender und noch viel schwerer zu verteidigen.

    Er war glücklich, andere überfordert.

  3. Tomsten 28. Juli 2014 8:15

    Weiss man eigentlich, wann die neue Trikot-Kollektion vorgestellt wird? (Jaaaa, ich weiss, schlimme Pussy-Thematik)
    Aber jetzt, da wir ja neue Jerseys mipm vierten Stern brauchen, isses nunmal so, dass das Schwarz-Rote zwar recht flott daher kommt, aber wegen der Blockstreifen schon wat aufträgt.
    Das weisse hingegen, mit diesen Engelsflügeln im Bauhaus-Stil die eigentlich auf den Rücken gehören, ist eher … äh … gar nicht so schön.

    Also … Mädelz … wat sacht die Mode-Gerüchteküche?

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