Titten

Der dünne Firnis

Und weiter geht’s mit Sascha Lobo:

„Zivilisiert zu sein bedeutet, nacheinander neun Schwarzhaarigen zu begegnen, die sich alle als Arschlöcher erweisen, und trotzdem dem zehnten Schwarzhaarigen nicht deshalb in die Fresse zu hauen. Es gibt nicht den einen Auslöser, nach dem Rassismus plötzlich okay ist.“

Man müsste sich vielleicht ein bisschen besser darüber verständigen, was Rassismus eigentlich ist, schließlich erfährt der Begriff aktuell ja einen volkssportlichen Verschleiß, mit dem Effekt, dass waschechter Rassismus – wie z.B. im Fall Höcke, Björn – in der allgemein hohen Grundempörung paradox normalisiert wird. Aber egal, ich stimme zu: Rassismus ist nicht okay, ganz und gar nicht. Da hat Sascha Lobo recht.

Der Rest ist Unsinn. Zivilisation ist keine extreme Form der Selbstüberwindung, das Personal dafür steht unserer Gattung schlichtweg nicht zur Verfügung. Zivilisation heißt nicht mit Buddha, Jesus und Ghandi zu wetteifern. Zivilisation bedeutet lediglich bestimmte grundlegende und allgemeinnützliche Regeln anzuerkennen und zu befolgen. Und diese Regelung beginnt keineswegs erst mit dem „zehnten Schwarzhaarigen“ in der Lobo-Reihe, sondern schon mit dem Ersten!

Die zivilisatorische Aufgabe besteht nicht darin, bis zuletzt dem Individuum als Individum zu begegnen und sich Offenheit und Wohlwollen zu bewahren. Sie besteht auch nicht darin, dem „zehnten Schwarzhaarige“ keine in die Fresse zu hauen. Nein, sie besteht – um im Bild zu bleiben – darin, schon das erste „Arschloch“ an die Regeln zu erinnern und diese Regeln gegebenenfalls auch durchzusetzten. So einfach ist das.

Vielleicht ist der dünne „Firnis der Zivilisation“ (Lobo, et.al.) auch nur deshalb so dünn, weil Leute wie Bax, Dietz oder der unsägliche Augstein als wahre Gesinnungsethiker neunmal zu oft in edle Duldungsstarre verfallen sind.

Der Sinn des Sonntagabends

Sonntagabends vollstrecken wir die Sollensimplikationen unserer Sofas. Wir legen uns hin, den Kopf aufs Kissen, die Füße schön hoch, wir atmen gemächlich und drücken den Like-Button.

Das menschliche Gehirn verbraucht im Ruhezustand ungefähr 25 Prozent unserer Energie. Im Vergleich dazu kommen unsere Vettern, die Schimpansen, mit nur 8 Prozent prima über die Runden! Ein sattes Viertel unseres Energiehaushalts verwenden wir also alleine fürs Nichtdenken – eine Energiesparplakette bekäme unser Synapsorium dafür nicht!

Abgesehen von fernöstlichen Meditationstechniken und Komasaufen weiß ich keine bessere Möglichkeit, diesen Wert zu verbessern als den Fernseher anzustellen. Als ich die Fernbedienung suche, fällt mein Blick auf meine Frau, die divengleich auf dem anderen Sofa liegt und mich verschlagen anschaut. Sofort schütten meine Nebennieren Adrenalin aus.

Liebst du mich? fragt sie und das bedeutet auf emmanuellisch: Stehe auf und hol mir etwas aus der Küche!

Entgegnete ich nun, dass auch ich ein Menschenrecht auf Ruhe und Rumliegen besäße, wiese sie mich darauf hin, dass sie dies gut verstünde, aber selber keineswegs aufstehn könne, weil ja die beiden Kater auf ihrem Schoße lägen und sie solcherart zur Horizontalen verdammt sei! Wollte ich dann opponieren, etwa mit dem Argument, dies sei mir scheißegal und die Katzen seien für mich ohnehin nur Kostenfaktoren ohne Kuschelwert und Lebensberechtigung, setzte ich damit unweigerlich eine Diskussion in Gang, die die causa finalis des Sonntagabends völlig konterkarieren würde und die in niemandes Interesse läge…

Liebst du mich? fragt sie und ich antworte deshalb: Was willst du?

Die Jungs, sagt sie, sind gemein und saudumm!

Aha, sage ich und weiß noch nicht recht, ob ich froh sein soll, nicht aufstehen zu müssen. Und warum sind sie gemein und saudumm?

Sie sagen, ich könne nicht singen!

Das ist doch Quatsch, beeile ich mich zu beschwichtigen, du singst wirklich schön!

Wirklich wirklich? Findest du wirklich, dass ich schön singe? Ich meine, es ist doch nicht so schlimm, oder? Die sagen immer, ich solle sofort aufhören! Die sind gemein und saudoof!

Zeit, sich zu empören: Die reden dummen Scheiß, die Jungs! Du singst gar nicht schlecht, man spürt deine innere Freude jedenfalls und außerdem siehst du viel besser als Adele aus! Sogar besser als Agnetha und Anni-Frid zusammen!

Doch das interessiert meine Frau gar nicht. Es klingt doch gar nicht soo schlecht, oder? Oh, ich würd‘ so gern schön singen können!

Kommt eigentlich was im Fernsehen? frage ich.

Ich glaube ein Tatort! sagt sie.

Hurra, ein Tatort! Hoffentlich einer mit Simone Thomalla! Das sind die Besten! Vor allem, wenn Emmanuelle schreiendkomisch die thomallasche Blasarmatur nebst Gesichtsvakuum imitiert, weiß ich wofür ich GEZ-Gebühren zahle! Tatort! Sonntag! Keine Diskussion! Hirnströme auf Pikovolt! Hurra!

Doch diesmal gibt’s kein Tatort mit Simone Thomalla, nein, es ist noch schlimmer. Wirklich viel schlimmer! Diesmal gibt’s einen Tatort mit Meret Becker!

Das Leben ist grausam, sagt meine Frau.

Grundgütiger! entweicht es mir.

Ich halt das nicht mehr aus! sagt meine Frau.

Ich auch nicht, sage ich.

Lieber 10 Stunden modernen Ausdruckstanz auf der Kleinkunstbühne gucken als noch 60 Minuten von diesem Tatort! sagt meine Frau.

Ich muss mir etwas einfallen lassen! Wenn wir den Fernseher ausschalten, beginnt vielleicht wieder die Diskussion ums Singen! Ich muss jetzt irgendetwas Kluges sagen! Schäbige Hinterhöfe, gescheiterte Existenzen, Drogensumpf, ausgeschlachtete Personen, Beziehungskrisen, leere Blicke, Desillusion, Schmutz, Berliner Dialekt… Ich muss mir irgendwas aus den Finger saugen, damit der Fernseher weiter läuft.

Dieses demonstrativ Kaputte! Das Kaputte ist der Ersatz für eine gute Story und starke Figuren. Das Kaputte soll als Zeichen der Authentizität dienen. Früher war … sage ich, doch Emannuelle hört mir gar nicht mehr zu. Sie liegt entspannt auf dem Sofa und surft im Internet. Im Fernseher beginnen Personen plötzlich rumzubrüllen. Ja, auch das emotional Eruptive wird als Zeichen von Authentizität verwendet, die Naturalisierung von Drehbuchattitüden – alles schlecht gefaked!

Ich stelle die Lautstärke runter und schließe die Augen. Sonntagabend, ich gehorche, ich döse!

Liebst du mich? fragt meine Frau.

Was?

Holst du mir ein kleines Stückchen Käse aus dem Kühlschrank? Nur ein kleines! sagt sie.

Vorerst wunschlos glücklich

Minutenlang schon stalkt mich eine Frage: Was kann ein Mann eigentlich noch wollen, der schon alles hat?

Ich habe eine große Schüssel voller friedlicher Urzeitkrebse.
Ich habe eine neue Nudelmaschine.
Ich habe eine Frau, die leicht stabsichtig ist.

Was kann ich noch wollen ohne der Maßlosigkeit anheimzufallen? Was kann ich noch willentun ohne moralisch anzuecken?

Noch einen Kapputschino? Wäre das okay?

Non, je ne regrette rien

Das wird mir jetzt niemand glauben, aber einmal hatte ich für 20 Minuten die Weltenherrschaft inne. Ohne Scheiß, ich hatte die totale Kontrolle über das Universum. Mit einem Fingerschnipp hätte ich die Gestirne neu sortieren können. Auf allen bewohnten Planeten hätte ich Verschönerungen vornehmen können. Ich hätte Frieden schaffen können hier auf Erden, das Kapital enteignen, die Nationalmanschaft die Weltmeisterscft gewinnen lassen können, SPD-Medienexperten ins Dschungelcamp schicken können, nichts wäre mir unmöglich gewesen.

Und, was habe ich getan? Ich habe mit meiner Alten gemauselt. Fuck forever!

Von Bord springen (MS Finnlady)

Auch das Springen von Bord wirft viele Fragen auf.

Nur ein Beispiel von vielen: Die Passagiere der MS Finnlady (Rostock-Helsinki-Rostock) werden per Durchsage (sehr!) regelmäßig darüber informiert, dass an Bord die East European Time gilt. Und nicht etwa die hundsordinäre Central European Time! Konkret bedeutet dies: Wenn ein Passagier sein Recht auf Selbstbestimmung dergestalt interpretiert, auf hoher See über die Reling zu springen – nehmen wir an, genau um 02:00 Uhr EET -, dann taucht er erstaunlicherweise ungefähr um 01:00 Uhr CET ins „kühle Nass“ ein! Doch was zunächst wie eine gute Nachricht klingt (immerhin hat derjenige eine gute Stunde gewonnen), erweist sich schnell als Startschuss für ein heikles Kuddelmuddel. Bei den derzeitigen Temperaturen braucht die Ostsee höchstens 15 Minuten um einen totzumachen. Doch wenn einer um 01:15 Uhr dahinscheidet, wer wird dann 45 Minuten später von Bord springen?

Es ist nur allzu verständlich, wenn sich Otto Normalverbraucher mit solchen Themata gar nicht beschäftigen will. Und ich auch nicht.

Jahresabschlussbesinnung, Vorschau und Dank

Das Jahr stolpert über die letzten Stufen: die letzten Kaffeetassen werden verschüttet, die allerletzen Eigelbe werden verkleckert, nur noch zwei, dreimal Stuhlgang in 2013 – wer jetzt nicht resümiert, der resümiert nimmermehr.
Ja was soll man sagen zum vergangenen Jahr? Meiner persönlichen Meinung nach, war 2013 (analog zu 2012 und 2011) ein Hintereinander von diesem und jenem!
Es war eine perplex-machende Aneinandereihung von Vielerlei.

Beispielweise war da das permanente Vorbeihuschen des rundum Positiven.
Nicht zu vergessen, die Sitzblockaden doofer Momente, von denen es auch nicht wenige gab.
(Wo bleibt eigentlich die Verdrängung, wenn man sie wirklich mal braucht?)

Der Burner 2013 war aber zweifelsfrei Urknall und Dingsbums, ein Sensationsblog, eine Erfolgsgeschichte sondergleichen.
Ganz ehrlich, ich hätte nie gedacht, dass dieser Blog so einschlägt! Wenn man bedenkt, noch vor wenigen Monaten gab es all diese Beiträge gar nicht! Und es gab auch keine Leser hier!

Gottlob wurde dieser Missstand behoben! Heutzutage gibt es schon 40 sehr schöne Beiträge auf Urknall und Dingsbums und täglich werden es mehr! Noch wichtiger aber ist: es konnten sogar 5-8 Leser  gewonnen werden. Im Vergleich zu Oktober ist das ein Anstieg von mehreren Tausend Prozent!

Dieser Erfolg kommt nicht aus dem Nichts. Urknall und Dingsbums ist das Ergebnis intensiver phänomänologischer Recherche und Reflektion. Da wird Knochenarbeit am Wort geleistet. Schonung kennt der Autor nicht. Thematisch ist Urknall und Dingsbums breit aufgestellt, stilistisch sogar breitbeinig.

Für 2014 ist – soviel darf verraten werden – eine Qualitätsoffensive angedacht. Geplant ist, die philosophischen Marktanteile  drastisch zu erhöhen, die Leserschaft soll zur Anhängerschaft umprogrammiert werden, ihre Anzahl soll nochmals um zigtausend Prozent gesteigert werden. Erreicht werden wird dies, indem fortan jeder Beitrag mit SEX und TITTEN und SOZIALE GERECHTIGKEIT und NSA getaggt wird! Wir werden das ehrenwerte Genre der Bildbesprechung wiederbeleben, zumindest aber widerbeleben, wir werden uns den großen Themen Bumsen in Zeiten des Bürgertums, Evolutionspsychologie, Anti-Sprachkritik, Moral als internalisierte Fremdbestimmung, Feminismus und dem Skandal der Nicht-naiven Weltbejahung zuwenden. Ferner wird der Versucht gewagt, den Beitrag Über die allmähliche Verfertigung eines Gedankens beim Bloggen irgendwie einem würdigen Ende zuzuführen. Und vieles mehr.

Schließlich möchte ich mich herzlich bei meiner Noch-Leserschaft und zukünftigen Anhängerschaft bedanken. Ihr seid toll und gutaussehend, ihr seid sexy und sehr schlau! Ohne Euch würden diese Beiträge einsam im Webspace treiben, ohne eure teilweise überragende Intelligenz würden diese Beiträge unverstanden dahervegetieren – ICH LIEBE EUCH ALLE! Danke, nichts zu danken.