Month: Januar 2016

Most wanted

Im Rahmen länderübergreifender Ermittlungen zu schwerwiegenden Justizirrtümern und liebloser Porträtphotographie ersucht die europäische Polizeibehörde Europol die folgenden Personen um zeitnahe Kontaktaufnahme.

Most wanted

Der Bestiz eines konsonantenreichen und/oder zungenbrechenden Vor- bzw. Nachnamens gilt nach Auskunft der Behörden an sich nicht als strafbar und alles andere ist – großes Ehrenwort! – Bagatelle. Sollte sich also der ein oder andere Urknall und Dingsbums-Leser rein zufällig auf einer der obigen Ablichtungen wiedererkennen, wird behufs letztgültiger und rein formaler Missverständnisausräumung ein Besuch der nächsten Polizeiwache empfohlen.

Campy

Am Anfang tut’s ein bisschen weh, das ist ganz normal. Die ersten fünf/zehn Minuten vielleicht. Es fühlt sich fremd an, als ob die Gehirne langsam in ihren Schalen zu rotieren begännen und die Eingeweide uns im Stich ließen und wir wissen nicht, wirklich nicht, ob wir es diesmal wirklich tun sollen. Doch wenn wir uns entspannen, wenn wir uns – zuerst zögernd, dann immer begieriger – unserer Vorurteile gegenüber RTL und dem Stammesleben entledigen, dann kommt die Lust wieder. Schneller als man denkt, kommt die Lust in „die sehr starke Tiefe“ (David Ortega) des Dschungels, in den feuchten Abyssus zu dringen…

Und fast das Beste am Dschungel: Anja Rützels campy Reviews. Gute Zeiten in Sicht!

Antipoden

Einmal hätte ich um ein Haar den amerikanischen Pianisten Keith Jarrett verklagt. Und das kam so:

Als ich in der Quarta und Untertertia hauste, stimmte mein Konzept von „Pflicht, Ordnung und Pünktlichkeit“ nicht immer mit dem meines Klassenlehrers überein, was dazu führte, dass dieser mir gleich staffelweise „Nachsitzen“ aufbrummte. Solche pädagogischen Maßnahmen – heutzutage zu Recht verpönt! – galten damals noch nicht als Verstöße gegen die Menschenrechtskonventionen und wurden zur Bekämpfung flacher Lernkurven gerne eingesetzt. Mich bestärkten sie indessen nur in der Annahme, dass schwere Dachschäden zum Berufsbild des Lehrers gehörten.

Wie oft ich den Preis für die Engstirnigkeit der Pädagogen zu zahlen hatte, weiß ich nicht mehr, aber ich saß wirklich oft und stundenlang meine Strafe in der Lehrerbibliothek ab. So kam es, dass ich meinen Nachhauseweg öfter Dienstag nachmittags durch das verlassene Schulgebäude antreten musste. Eines Tages gewahrte ich dabei sphärische Bruchstücke eines Klavierspiels, welche vom anderen Ende des langen Ganges herbeischwebten, dorther, wo ein Bösendorfer Mignonflügel in der Teppenhalle stand. Uns Schülern war es strengstens verboten, auf dem Instrument zu spielen, aber jetzt schien ein Profi am Werke, denn die Bruchstücke fügten sich bei näherem Hinhören zu einer anmutig ephemeren und wunderschön elegischen Melodie! Nicht zu entscheiden, ob ich einer stimmungsvollen Komposition oder einem genialen Extempore lauschte – mit jeden Schritt, den ich näher kam, entfaltete die Musik mehr Zauber und mehr Sehnwucht.

Als ich die Mitte des Ganges erreicht hatte, legte sich jedoch allmählich eine zweite Tonspur auf meine Ohren. Es war ein kakophones Geklimper, dass stetig lautstärker wurde, während die schöne Melodei immer mehr entschwand, als bedürfte das ohnehinnige Schicksal des Entschwindens noch eines Zaunpfahlwinks – wenn man versteht, was ich meine.

In der Teppenhalle angelangt, sah ich, was ich halb erwartet hatte und was mich halb überraschte: irgendwelche Antipoden bearbeiteten unkoordiniert den Flügel. Es tat den Ohren schrecklich weh.

Zunächst nahm ich all das einfach so hin. Gedankenlosigkeit ist der glücklichen Jugend Patentrezept. Erst als mir Ähnliches f.f. noch mehrmals widerfuhr, kam ich ins Grübeln.

Wo, fragte ich mich, kam eigentlich die Musik her? Vom Bösendorfer nicht, der wurde ja von meinen Antipoden malträtiert! Wenn man irgendwelche extradimensionalen Ursprünge ausschloss – und das tat ich -, blieb eigentlich nur noch mein eigenes Gehirn als Quelle des Wohlklangs übrig. Die Musik, sagte ich mir, muss in meinem Kopf entstanden sein. Dieser hatte also offensichtlich Ordnung in den Tonsalat gebracht, ungefragt und mühelos. Das Überraschende an dieser Erklärung war, dass ich mein Gehirn bis dato für ausgesprochen unmusikalisch gehalten hatte und diese Einschätzung wurde übrigens von Fachleuten geteilt. Im Musikunterricht war ich niemals über ein Befriedigend hinausgekommen, egal wie schön ich auch immer kurz vor den Notenkonferenzen unserer Lehrerin Frau Berentzen vorgesungen hatte.

Ein Jahr später (sic!) hörte ich techtelmechtelbegleitend zum ersten Mal den ersten Teil des ersten Teils des legendären Köln Concert des amerikanischen Pianisten Keith Jarrett und war schockiert: dieser Typ, dieser Jarrett, spielte da doch tatsächlich notengetreu meine Schulflur-Elegie! Verunziert von Stöhnern und Knacksern, aber ansonsten in Reinkopie! Was sollte das? Was, zum Geier?

Anfangs war ich erbost. Wie kam dieser Typ, dieser Jarrett-Pillermann, dazu, so unverfroren einem jungen und harmlosen Schüler geistiges Eigentum zu entwenden? Und wie hatte er das überhaupt angestellt? Diese Frage bedurfte der Klärung, bevor rechtliche Schritte unternommen werden konnten. Doch erwies sich die Beweislage auch nach langem Nachdenken als ungünstig für mich. Dieser Jarrett war ein gefeierter Star und ich nur ein Schüler mit ’ner Drei in Musik – an ein faires Gerichtsverfahren zu glauben, war angesichts dessen mehr als naiv!

Letztlich – ob man’s glaubt oder nicht – war es mein gutes Herz, dass mich zwang, Keith Jarrett juristisch zu verschonen. Dieser bedauernswerte Tropf war doch nur ein Jazzmusiker und Jazzmusiker haben doch nichts außer ihrer Musik, selbst wenn es nicht die eigene ist. Deshalb gucken sie ja auch immer so ernst und gewichtig. Wenn sie denn überhaupt gucken. Oft sitzen sie ja mit unmodischen Klamotten hinter ihren Instrumenten und kneifen die Augen feste zu. Nicht nur wegen des Publikums. Nein, die Musiker suchen eher Zuflucht im inneren Geklimper. Alternativ tragen manche Jazzer  ein seelig-schizoides Dauer-Lächeln im Gesicht und reißen die Augen weit auf als hätten sie einen Lötkolben im Hintern. Nein, einen Jazzmusiker wollte ich nicht verklagen. Das hätte mein Gewissen letzlich nur belastet.

Alle meine Hemdchen

ÄrmelAnstatt Menschen, Tiere oder Sachen zu „kritisieren“, habe ich heute die Ärmel all meiner ungewaschen und/oder ungebügelten Hemden photographiert. Das war schon lange fällig und hat richtig Spaß gemacht!

 

 

 

 

Hintergedanke: ich möchte mit dem Bild allen Urknall-und-Dingsbums-Fans positive Lebensenergie schicken. Es gibt keinen echten Grund, miesgrämig zu sein, Freunde. Das Leben ist Pi mal Daumen possierlich. Alles Doofe existiert nur in eurem Kopf!

Der dünne Firnis

Und weiter geht’s mit Sascha Lobo:

„Zivilisiert zu sein bedeutet, nacheinander neun Schwarzhaarigen zu begegnen, die sich alle als Arschlöcher erweisen, und trotzdem dem zehnten Schwarzhaarigen nicht deshalb in die Fresse zu hauen. Es gibt nicht den einen Auslöser, nach dem Rassismus plötzlich okay ist.“

Man müsste sich vielleicht ein bisschen besser darüber verständigen, was Rassismus eigentlich ist, schließlich erfährt der Begriff aktuell ja einen volkssportlichen Verschleiß, mit dem Effekt, dass waschechter Rassismus – wie z.B. im Fall Höcke, Björn – in der allgemein hohen Grundempörung paradox normalisiert wird. Aber egal, ich stimme zu: Rassismus ist nicht okay, ganz und gar nicht. Da hat Sascha Lobo recht.

Der Rest ist Unsinn. Zivilisation ist keine extreme Form der Selbstüberwindung, das Personal dafür steht unserer Gattung schlichtweg nicht zur Verfügung. Zivilisation heißt nicht mit Buddha, Jesus und Ghandi zu wetteifern. Zivilisation bedeutet lediglich bestimmte grundlegende und allgemeinnützliche Regeln anzuerkennen und zu befolgen. Und diese Regelung beginnt keineswegs erst mit dem „zehnten Schwarzhaarigen“ in der Lobo-Reihe, sondern schon mit dem Ersten!

Die zivilisatorische Aufgabe besteht nicht darin, bis zuletzt dem Individuum als Individum zu begegnen und sich Offenheit und Wohlwollen zu bewahren. Sie besteht auch nicht darin, dem „zehnten Schwarzhaarige“ keine in die Fresse zu hauen. Nein, sie besteht – um im Bild zu bleiben – darin, schon das erste „Arschloch“ an die Regeln zu erinnern und diese Regeln gegebenenfalls auch durchzusetzten. So einfach ist das.

Vielleicht ist der dünne „Firnis der Zivilisation“ (Lobo, et.al.) auch nur deshalb so dünn, weil Leute wie Bax, Dietz oder der unsägliche Augstein als wahre Gesinnungsethiker neunmal zu oft in edle Duldungsstarre verfallen sind.

Informationelle Fürsorge

Gestern habe ich einen taz-Kommentar gelesen, der mich daran erinnert hat, warum ich schon seit Jahren kein „Linker“ mehr sein kann und will und weshalb mir mittlerweile „Linke“ nicht weniger auf den Sack gehen als „Rechte“.

Das Überraschende an Daniel Bax Einlassungen, seiner Kritik an der medialen Repräsentation der Kölner Silvesterfeierlichkeiten, ist dabei weniger ihr Inhalt als vielmehr die Offenherzigkeit, mit der er an probate Ansätze der deutschen Volkspädagogik aus den 30ern und 40ern, bzw. aus der DDR-Zeit anknüpft. Nur mit dem Unterschied, dass diesmal halt nicht ein fürsorglicher Staat, sondern ein verantwortungsvoller Zeitungsredakteur sich Sorgen über die schädlichen Folgen von Informationsüberfluss macht. Verständlich, denn nichts fördert das volksgemeine Vorurteil mehr als die Kenntnisnahme von Sachverhalten:

Längst vorbei sind auch die Zeiten, in denen es zu den journalistischen Standards gehörte, die Nationalität oder Herkunft von mutmaßlichen Straftätern nicht zu nennen.Im Pressekodex, den sich die im Deutschen Presserat zusammen geschlossenen Medien einmal freiwillig und aus gutem Grund auferlegt haben, heißt es dazu, die Nennung der Religion oder Herkunft der Täter sei nur dann erwähnenswert, wenn es einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat gebe. Zu beachten sei, „dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“.
Diese Standards sind längst erodiert. Denn in Zeiten von sozialen Medien und Internet ist es ohnehin eine Illusion zu glauben, bestimmte Informationen ließen sich außen vor lassen.

Abgesehen davon, dass zur handelsüblichen descriptio personae seit Urzeiten Angaben zur Herkunft, Geschlecht, Stand, etc. gehören und zwar nicht, weil diese Angaben argumentativ gewichtig wären, sondern weil sie nun einmal in der Kommunikation von Menschen einen gewissen Grad von Anschaulichkeit gewährleisten, wäre es doch durchaus bedenkenswert, wenn der interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben würde, selbst zu beurteilen, wie relevant oder irrelevant im vorliegenden Fall Angaben zum Personkreis wären, ohne dass Herr Pax den Lesern gleich eine falsche Dichotomie in die Gehirngänge brennt. Auch wenn nicht jeder Zeitungsleser so intelligent wie Daniel Pax ist, müssen etwaige Fehlschlüsse und nicht-ideologiekonforme Deduktionen nicht zwingend Folge informationeller Selbstbestimmung sein und sind zudem und womöglich als Teil des allgemeinen demokratisch-hermeneutischen Lebensrisikos zu betrachten. Ich kann verstehen, wenn ein Gesinnungsblatt wie die taz in Sachen Denkfehler nichts anbrennen lassen möchte – recht und billig ist es, den eigenen Lesern verstörende Sachverhalte zu ersparen – doch warum muss das Paxsche Verantwortungsbewußtsein gleich zur allgemeinen Norm erhoben werden? Daran kann die restliche Journaille doch nur scheitern!

Erstaunlich auch wie schnell diejenigen, die ansonsten keine Gelegenheit auslassen, den Einfluss von Sozialisation und Enkulturation auf unser Denken und Tun herauszustellen, im Bedarfsfalle zum Schutz der eigenen Glaubenssätze diese ignorieren. Wenn also Sozialisation und Enkulturation, sprich Herkunft, keine Erklärungsansätze für Vorkommnisse der Kölner Art bieten darf, was eigentlich dann? Wäre ein völlig falsch verstandener Biologismus sensu Björn Höcke vielleicht genehm, weil leicht widerlegbar? Oder müssen wir uns die Ereignisse als quantenmechanischen Spuk vorstellen, als spontane Emanation des höchst Unwahrscheinlichen?

Und wie sähe eigentlich eine korrekte, vorurteilsverhindernde, anti-stigmatisierende Berichterstattung aus? Warum sollte überhaupt der Ort des Geschehens genannt werden? Führt das nicht unweigerlich zu einer selektiven Wahrnehmung der schönen Domstadt? Warum müssen das Geschlecht von Opfern und Tätern aufgeführt werden? Führt das nicht zwangsläufig zu Stereotypen unschönster Art? Uns warum überhaupt die Unterscheidung von Opfern und Tätern? Wozu die Schwarz-Weiß-Malerei? Ist nicht sowieso die Gesellschaft an allem Schuld:

Am 31. Dezember ereigneten sich Vorfälle in einer der Redaktion bekannten Stadt. Näheres weiß man nicht und kann man nicht sagen, ohne das unschuldige Wellenfunktionen kollabieren. Zeugenaussagen sind irrelevant. Opfer gab es wahrscheinlich auf beiden Seiten. Vor vorschnellen Vorurteilen wird gewarnt. Das alles kommt von sozialer Ungerechtigkeit. Wir haben schon immer davor gewarnt.