Der Sinn des Sonntagabends

Sonntagabends vollstrecken wir die Sollensimplikationen unserer Sofas. Wir legen uns hin, den Kopf aufs Kissen, die Füße schön hoch, wir atmen gemächlich und drücken den Like-Button.

Das menschliche Gehirn verbraucht im Ruhezustand ungefähr 25 Prozent unserer Energie. Im Vergleich dazu kommen unsere Vettern, die Schimpansen, mit nur 8 Prozent prima über die Runden! Ein sattes Viertel unseres Energiehaushalts verwenden wir also alleine fürs Nichtdenken – eine Energiesparplakette bekäme unser Synapsorium dafür nicht!

Abgesehen von fernöstlichen Meditationstechniken und Komasaufen weiß ich keine bessere Möglichkeit, diesen Wert zu verbessern als den Fernseher anzustellen. Als ich die Fernbedienung suche, fällt mein Blick auf meine Frau, die divengleich auf dem anderen Sofa liegt und mich verschlagen anschaut. Sofort schütten meine Nebennieren Adrenalin aus.

Liebst du mich? fragt sie und das bedeutet auf emmanuellisch: Stehe auf und hol mir etwas aus der Küche!

Entgegnete ich nun, dass auch ich ein Menschenrecht auf Ruhe und Rumliegen besäße, wiese sie mich darauf hin, dass sie dies gut verstünde, aber selber keineswegs aufstehn könne, weil ja die beiden Kater auf ihrem Schoße lägen und sie solcherart zur Horizontalen verdammt sei! Wollte ich dann opponieren, etwa mit dem Argument, dies sei mir scheißegal und die Katzen seien für mich ohnehin nur Kostenfaktoren ohne Kuschelwert und Lebensberechtigung, setzte ich damit unweigerlich eine Diskussion in Gang, die die causa finalis des Sonntagabends völlig konterkarieren würde und die in niemandes Interesse läge…

Liebst du mich? fragt sie und ich antworte deshalb: Was willst du?

Die Jungs, sagt sie, sind gemein und saudumm!

Aha, sage ich und weiß noch nicht recht, ob ich froh sein soll, nicht aufstehen zu müssen. Und warum sind sie gemein und saudumm?

Sie sagen, ich könne nicht singen!

Das ist doch Quatsch, beeile ich mich zu beschwichtigen, du singst wirklich schön!

Wirklich wirklich? Findest du wirklich, dass ich schön singe? Ich meine, es ist doch nicht so schlimm, oder? Die sagen immer, ich solle sofort aufhören! Die sind gemein und saudoof!

Zeit, sich zu empören: Die reden dummen Scheiß, die Jungs! Du singst gar nicht schlecht, man spürt deine innere Freude jedenfalls und außerdem siehst du viel besser als Adele aus! Sogar besser als Agnetha und Anni-Frid zusammen!

Doch das interessiert meine Frau gar nicht. Es klingt doch gar nicht soo schlecht, oder? Oh, ich würd‘ so gern schön singen können!

Kommt eigentlich was im Fernsehen? frage ich.

Ich glaube ein Tatort! sagt sie.

Hurra, ein Tatort! Hoffentlich einer mit Simone Thomalla! Das sind die Besten! Vor allem, wenn Emmanuelle schreiendkomisch die thomallasche Blasarmatur nebst Gesichtsvakuum imitiert, weiß ich wofür ich GEZ-Gebühren zahle! Tatort! Sonntag! Keine Diskussion! Hirnströme auf Pikovolt! Hurra!

Doch diesmal gibt’s kein Tatort mit Simone Thomalla, nein, es ist noch schlimmer. Wirklich viel schlimmer! Diesmal gibt’s einen Tatort mit Meret Becker!

Das Leben ist grausam, sagt meine Frau.

Grundgütiger! entweicht es mir.

Ich halt das nicht mehr aus! sagt meine Frau.

Ich auch nicht, sage ich.

Lieber 10 Stunden modernen Ausdruckstanz auf der Kleinkunstbühne gucken als noch 60 Minuten von diesem Tatort! sagt meine Frau.

Ich muss mir etwas einfallen lassen! Wenn wir den Fernseher ausschalten, beginnt vielleicht wieder die Diskussion ums Singen! Ich muss jetzt irgendetwas Kluges sagen! Schäbige Hinterhöfe, gescheiterte Existenzen, Drogensumpf, ausgeschlachtete Personen, Beziehungskrisen, leere Blicke, Desillusion, Schmutz, Berliner Dialekt… Ich muss mir irgendwas aus den Finger saugen, damit der Fernseher weiter läuft.

Dieses demonstrativ Kaputte! Das Kaputte ist der Ersatz für eine gute Story und starke Figuren. Das Kaputte soll als Zeichen der Authentizität dienen. Früher war … sage ich, doch Emannuelle hört mir gar nicht mehr zu. Sie liegt entspannt auf dem Sofa und surft im Internet. Im Fernseher beginnen Personen plötzlich rumzubrüllen. Ja, auch das emotional Eruptive wird als Zeichen von Authentizität verwendet, die Naturalisierung von Drehbuchattitüden – alles schlecht gefaked!

Ich stelle die Lautstärke runter und schließe die Augen. Sonntagabend, ich gehorche, ich döse!

Liebst du mich? fragt meine Frau.

Was?

Holst du mir ein kleines Stückchen Käse aus dem Kühlschrank? Nur ein kleines! sagt sie.

4 comments on “Der Sinn des Sonntagabends

  1. Nekton 27. März 2015 15:08

    Mein Gehirn hatte sich darauf beschränkt, darüber nachzudenken, welchen Blutdruck ein Mensch haben muß, damit das Blut beim Öffnen des Bauchraums zwei Meter hoch an die Kacheln spritzt. Aber Scarlet war noch besser. Ihr Gehirn hatte die Energieeffizienzklasse A+++ erreicht, sich auf die Produktion von Delta-Wellen beschränkt und somit aktiv zum Schutz des Klimas und unserer Käsevorräte beigetragen.

  2. scarlet 27. März 2015 18:48

    Hallo!?! Energieerhaltung muss oberstes Prinzip bleiben! Und da die anderen beiden Vorschläge Meditation oder Komasaufen Sonntag abends nicht Programm sind, bleibt doch nur der gute, alte (neue?) Tatort. Ich muss zugeben, ich bin bekennender Tatort-Gucker und nicht jedesmal, mein lieber Nekton!, produziere ich ausschließlich Delta-Wellen. Aber aufgeschlitzte Bäuche, aus denen Kokainbällchen quillen oder die genannten schmierigen Hinterhöfe, in denen sich Meret … (Bilder! uaahhh …), versetzen mich nicht mehr in Brechzustände, sondern ich schalte in geruhsamen A+++-Modus. Anmut will schließlich gepflegt werden. Sweet dreams, danke Meret, danke Berlin!

  3. Alaska 29. März 2015 15:21

    … Holst du mir ein kleines Stückchen Käse aus dem Kühlschrank? Nur ein kleines! sagt sie.

    Wir sollten jetzt doch noch einmal unseren Plan mit dem Frauentausch überdenken, Halbmast.

    Ich fürchte nach dieser Deiner Schilderung, dass seine Umsetzung uns allen beiden nicht mehr ein krasses Déjà-vu-Erlebnis bescheren würde.

    • Alaska 29. März 2015 15:22

      … nicht mehr als

      meine ich natürlich.

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