Month: August 2015

Übers Stöckchen springen

Der Moral-Journalist Georg Dietz rechnet in seinen jüngsten Beitrag zur „Flüchtlingsdebatte“ tapfer mit der „Augenzwinkerei“ ab:

„Wie schäbig sich Deutschland doch in den vergangenen Wochen gezeigt hat. Aber hinter taktierenden Politikern und pöbelnden Glatzen formt sich eine Front der neuen Ernsthaften: Die Ära des Ironischen ist endlich vorbei.“

Sicherlich wird sich Dietz irgendetwas dabei gedacht haben, als er das „Ironische“ kurzum in den Ruhestand schrieb  – hoffen wir alle jetzt auf eine „Ära des Erklärens“, damit auch klar wird was!

Skeptisch bin ich auch in anderer Hinsicht. Vielleicht liegt es ja nur an meinem Vorurteil gegenüber Typen mit dicken Nerd-Brillen, aber ich befürchte, wenn die „Front der neuen Ernsthaften“ auf die „Front der alten Ernsthaften“ trifft, wird Dietz eher nicht in der ersten Reihe zu finden sein.

Stattdessen wird er sicher seine höhere Pflicht an der Feder leisten:

„Eine Gesellschaft braucht einen Grund, warum sie sich als Gesellschaft definiert: die Flüchtlinge liefern diesen Grund.“

Man mag bezweifeln, ob den Flüchtlingen mit solchem Unsinn geholfen ist; falls doch, soll es mir sehr recht sein.

Einmal im Leben

Als Philosoph werde ich oft gefragt: Du, Halbmast, was ist eigentlich der Sinn des Lebens?

In solchen Situationen versuche ich immer ganz milde und zugewandt zu lächeln, wie damals in den 70ern die Hare Krishnas in den Fussgängerzonen einen milde und lieb angelächelt haben, wenn man ihnen sagte, dass man sich weder für Erleuchtung, noch für Erlösung und ewiges Glück, noch für Frieden und all den ganzen Scheiß interessiere!

Also ich versuche sanft zu lächeln, auch wenn’s schwer fällt, zucke mit den Achseln und reiche den Leuten – auf die Gefahr hin, in Sachen Leben als Hardliner zu gelten – dann folgende To-Do-Liste:

 

Wer fragt, versagt!

  • Einmal im Leben sollst du nachts im Flugzeug über die Wüste fliegen und die weit verstreuten Flammen der Ölanlagen sehen.
  • Einmal im Leben sollst du an einem Flotten Dreier teilnehmen oder die Teilnahme an einem Flotten Dreier ablehnen oder aber wegen eines dummen Zufalls die Teilnahme an einem Flotten Dreier versäumen.
  • Einmal im Leben sollst du vom 10 Meter Turm springen.
  • Ein einziges Mal im Leben sollst du jemanden etwas Nettes sagen.
  • Einmal im Leben sollst du wenigstens die ersten 10 Seiten von Finnegans Wake lesen.
  • Einmal im Leben solltst du in einem Sternerestaurant laut rülpsen ohne rot zu werden. Wirst du rot, zählt es nicht!
  • Einmal im Leben sollst du einen Witz selbst erfinden.
  • Einmal im Leben sollst du einen Wagen fahren, der nicht weniger als 16 Liter Sprit verbraucht.
  • Einmal im Leben sollst du eine echte HILTI in die Hand nehmen.

Wichtig: Alles Abhaken, sonst wird der Sinn des Lebens höchstwahrscheinlich verfehlt!

Löschung 3

…um sich durch ihr Tun das Bewußtsein ihrer Einheit mit der Wirklichkeit zu geben…

Genau darin ist der Terror der Schwachen begründet: in dem vordringlichen Bedürfnis nach innerer Anheimelung, in der Unfähigkeit zur Disparation und zur Wahrnehmung von Selbstwidersprüchen. Alles, was das Gefühl der vollständigen Einheit des eigenen Bewusstseins und der Wirklichkeit gefährdet, wird ignoriert und wo es nicht mehr ignoriert werden kann, wird es abgewertet und wo auch dies nicht mehr reicht, da wird das vermeintlich Fremde zerstört und ausgelöscht. Das Fremde kann allenfalls in hermeneutischer Quarantäne, als etwas dem Bewusstsein rein Äußerlichem, geduldet werden. Und auch dieser Duldungszustand ist naturgemäß nur provisorisch.

Löschung 2

“ Das Werk ist, d.h. es ist für andere Individualitäten, und für sie eine fremde Wirklichkeit, an deren Stelle sie das ihrige setzen müssen, um sich durch ihr Tun das Bewußtsein ihrer Einheit mit der Wirklichkeit zu geben; oder ihr durch ihre ursprüngliche Natur gesetztes Interesse an jenem Werke ist ein anderes als das eigentümliche Interesse dieses Werkes, welches hierdurch zu etwas anderem gemacht ist. Das Werk ist also überhaupt etwas Vergängliches, das durch das Widerspiel der Kräfte und Interessen ausgelöscht wird und vielmehr die Realität der Individualität als verschwindend, denn als vollbracht darstellt.“

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes (ed. Hoffmeister S. 291f)

Beilegung der Chemie-Streitigkeiten

Wer sagt’s denn!

Nachdem ich in einem Beitrag vom 17. März dieses Jahres unmissverständliche Worte zum Chemiebaby-Streit zwischen Elton John et.al. und Dolce&Banana  gefunden habe, scheinen die Kontrahenten nun endlich wieder zur Vernunft gekommen zu sein. Seitens der Top-Designer wurden nun Entschuldigungen sensu Es tut uns alles schrecklich leid vorgetragen, die seitens Balladen-Johns akzeptiert und durchgewunken wurden. Mithin kann man wieder zum kreativen Tagesgeschäft übergehen.

Es mag schon sein, dass nicht nur die von mir vorgetragenen Argumente („Alle haben recht und basta!“), sondern auch der von mir ausgeübte Druck ( „Ich trage ab sofort keine Dolce&Gabbana-Klamotten mehr und hör auch keine schöne Musik von dem Elton John mehr! Bis sich alle wieder beruhigt haben!“) zum Sinneswandel beigetragen habt – erfreulich ist die Beilegung des Chemiebaby-Streitigkeiten gleichwohl!

Auch ich betrachte die Angelegenheit damit als erledigt und hebe nun meinerseits den verhängten EltonJohnDolce&Banana-Boykott auf und erwarte von allen Lesern, meinem Beispiel zu folgen.  Ansonsten sähe ich mich nämlich zu einem Leser-Boykott gezungen, der sicherlich in keinermans, bzw. keinerfraus Interesse liegt! Also hört mal alle wieder schön Elton John! Und macht euch alle mal wieder richtig fein! Es gibt hier nichts mehr zu protestieren.

Ungeile Geilheit

Stress im Berufsleben, Probleme mit Orangenhaut und mit unbotmäßigen Figuren. Zudem apportier-willige Eigenwiller, sogenannte „Partner“, die ständig – merkwürdig halbgeil – rauf wollen auf die Muttis: es gibt viele gute Gründe, weshalb Frauen heutzutage keinen Bock aufs Bumsen haben.

Ein beklagenswertes Geschlecht, dem nicht nur das moderne Leben übel mitspielt, sondern überdies auch noch die Biologie Schwieriges abverlangt: um im Eigeninteresse und zugleich im Dienste der Gattung ihren Reproduktionspflichten korrekt nachzukommen, muss frau die female choice gnadenlos obwalten lassen, die sorg- wie mühsame Auswahl der raren, männlichen Prachtexemplare aus dem sabbernden Heer der Alpha-Kevins. Bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe würde die Damen nun nichts mehr stören als stete Wollust und unbeugsamer Rammelwille. Wuschig entscheidet sich’s eben gern unklug. Ein neutraler Kopf wäre da besser. Nur: wie geht „neutral“ bei all den Hormonen?

Bei der Lösung von Problemen geht die Evolution normalerweise eher hemdsärmlig vor, da zählen keine Befindlichkeiten, da zählt Ökonomie. Anstatt also ein ein ganzes Geschlecht und eine ganze Chemie neu zu erfinden, kappt die Natur einfach ein paar vorhandene Verbindungen – Hauptsache es geht irgendwie weiter, weiter, weiter. Und so kam es zu jenem vorgeschichtlichen Split, den die Sexualwissenschaft heute staunend zu konstatieren hat: Frauen (die Ausnahmen – wie immer – ausgenommen!) sind von Natur aus rammelwild und zugleich sind sie es nicht. Genauer gesagt: sie sind den Luxusbechromosomten (Männern) darin ähnlich, dass sie geil und vögelorientiert sind und sie sind den Luxusbechromosomten darin unähnlich, dass sie nichts (oder nur wenig und nur zeitverzögert) davon mitkriegen! Ihnen fehlt’s  schlichtweg am Bumsbewusstsein! Ob man diesen Split beklagen soll oder loben, keine Ahnung – er muss den Damen das Selektionsgeschäft wohl ungemein erleichtern. Sonst gäbe es ihn nicht. Gesellt sich nun zum biologisch disponierten Mangel an Bumsbewusstsein auch noch ein Mangel an Bumskultur, dergestalt er in unseren geschätzten bürgerlichen Kreisen vorherrscht, wird eindeutiges Treiben notwendigerweise Schaltjahrereignis!

Anbetracht all dessen, haben wir alle natürlich vollstes Verständnis für die Unlust der Frauen – Ausnahmen ausgenommen (Muss man es immer wieder betonen? Nein, ab sofort wird hier gar nichts mehr betont, jedenfalls nicht das Simpelste vom Simplen). Alle haben Verständnis, nur nicht die Pharmaindustrie. Die hat kein Verständnis dafür.

Die will zukünftig Flibanserin, das „Viagra für Frauen“, die Pille für die Wonne, unters Volk bringen, auf dass sich die weibliche Libido und das Lustempfinden steigere, was zu einem atemberaubenden statistischen Plus „von einem halben bis einem Mal Sex mehr pro Monat“ führen soll! Man möchte meinen, ein „halbes Mal Sex mehr“ sei eine verzichtbare, womöglich sogar gänzlich verzichtbare Größe, doch wir leben in trockenen Zeiten und Genügsamkeit ist nicht die niederste aller Tugenden!  Flibanserin hebt den Mauseldrang der Frau zwar nicht auf Naturvölkerlevel, aber mehr bleibt mehr, auch wenn’s wenig mehr ist.

Bevor nun jedoch allgemeine Begeisterung aufbrandet, sei auf Nebenwirkungen hingewiesen, auf die Experten nicht ohne Sorgen hinweisen, sintemal der Pillenverzehr von Flibanserin in nicht seltenen Fällen Müdigkeit, Hypotonie und Schwindelanfälle zeitigt! Wer jetzt „Moment mal!“ sagt, sagt meiner Meinung nach völlig zurecht „Moment mal!“ Müdigkeit, Hypotonie und Schwindelanfälle? Kann das Zufall sein? Sind das nicht genau die gängigen, vornehmen Umschreibungen für sexuelle Unlust? Liegt hier also ein hundsgemeiner circulus vitiosus vor? Sollte schlussendlich Flibanserin die Krankheitssymptome, die es zu bekämpfen vorgibt, höchstselber verstärken?

Vorsicht scheint im Umgang mit der Lustpille erste Bürgerinnenpflicht!

Man muss auch kein Mediziner sein, um zu befürchten, dass Flibanserin Nebenwirkungen hat, die auf dem Beipackzettel gar nicht angeführt werden. Sehen wir es mal so: was tun Frauen, die keine Lust auf Sex haben? Was tun sie normalerweise?

Eben! Sie machen Yoga und gehen shoppen! Und das ist gut so! Yoga ist gesund und Shoppen nützt der Volkswirtschaft, ein Erlahmen der Binnennachfrage können wir uns in Deutschland schwerlich leisten! Warum also etwas ändern, was gut läuft?

Wer denkt, denkt weiter und irgendwann stößt man unfreiwillig auf unschöne Konsequenzen. Was, wenn Frauen nun dank Flibanserin tatsächlich entdecken, dass ein leidenschaftliches Liebesleben der Lebenqualität nicht gänzlich abträglich ist? Was, wenn sie entdecken, dass Sex nicht nur zum Instrumentalisieren gut ist? Was, wenn sie plötzlich Spaß am Bumsen haben? Führte dies nicht unweigerlich zu gesamtgesellschaftlichen Komplikationen der übelsten Art? Von vorne, von hinten, von rechts, von links, von oben, von unten. Was, wenn sie sagen: lieber gleich eine Stellung als Gleichstellung? Ginge dann das Abendland nicht vollautomatisch unter?

Und ist Kultur nicht irgendwie auch ein Produkt von Triebverzicht und Ersatzbefriedigung? Was soll aus all den Töpferkursen, Subventionstheatern, Dichterlesungen, Vernissagen und Charity Balls werden? Den Bürgerinitativen und Elternabenden? Wer soll da noch hingehen, wenn die Frauen ubiquitär zum Beischlaf drängen?

Ich bin wirklich kein Katastrophist, aber die Lustpille für die Frau könnte definitiv das Fass des Untergangs zum Überlaufen bringen. Finger weg davon, Ihr Frauen! Ich bin auch kein Naturalist, aber besser geil ungeil, als ungeil geil. Aber egal, sub specie aeternitatis ist auch das Wurst.