Month: Januar 2014

Sozialtourismus

Ein Zimmer mit vollsynthetischer Luft und indirekter Beleuchtung. Ich bin erledigt, der Tag war lang. Ich liege im Bett, im Flimmerkasten läuft RTL, was hingenommen werden muss, was unabänderlich ist, denn die Fernbedienung ist aus der Hand gefallen mir. Sie liegt auf dem Fußboden wie für immer, auf dem Fußboden des Hotelzimmers, das im Hotel ist, das in der Stadt ist, die der Ort ist, der der einsamste Ort auf der ganzen Welt ist. Ein Ort in einer Stadt, einer Stadt, der alle Lehrbücher der Proktologie ein eigenes Kapitel widmen. Und da bin ich jetzt.

Weint um mich, ich bin in Bielefeld. Die Zeit vergeht. Es ist ein Akt der Willensstärke, ich verlagere mich mühsam zur Seite und greife zur Fernbedienung. Ich drücke auf irgendeinen Knopf: die Nachrichten!

Heute ist wieder etwas ziemlich Beknacktes passiert. Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat – in Ermangelung sinnvoller Beschäftigung – das sogenannte Unwort des Jahres bekannt gegeben. Die wohldurchdachte Wahl fiel auf „Sozialtourismus“.

Weil, weil, ja warum eigentlich? Weil der Begriff „Sozialtourismus“ all die Menschen diskriminiere, „die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen“ und weil er „ihr prinzipielles Recht hierzu“ verschleiere. Und weil böse Wörter, böse, sprachmagische Wirkungen haben. Und weil der Mob ein falsches Bewusstsein hat und die Stirnrunzler von der  GfdS neuerdings im Besitz politischer, juristischer, soziologischer, ökonomischer und vor allem moralischer Allwissenheit zu sein scheinen und den sprachlichen Objektbereich voll erfasst haben und deswegen entscheiden, was adäquat ist und was nicht.

Ideologiekritik ist ne feine Sache für feine Leute, aber wenn sie sich als Sprachpflege ausgibt, ist sie selber Verschleierung. Wer Verhältnisse ändern will, muss halt Verhältnisse ändern und nicht Sprache. Woher stammt eigentlich der verquere Idealismus, die dämliche Vorstellung, Sprache konstituiere Bewusstsein?

Ein stinkender Sockenball verfehlt den Fernseher. Ich habe Durst, ein Schwerverbrechen für eine Pulle Quelle Surprise jetzt! Stattdessen schlafe ich ein.

Ein Wort noch zu Bielefeld. Es gibt fließend Wasser hier und Strom und Internet. Es ist nicht bewiesen, dass die Einwohner alle Zombies sind. Bielefeld trifft keine Schuld, wenn ich müde bin und die Fernbedienung aus der Hand fällt mir und mein Sockenball den Nachrichtensprecher nicht trifft.

Hund, Katze, Wilson

Hat nicht Stiftung Warentest irgendwann mal Haustiere getestet? Ich meine mich zu erinnern, dass das Charolais-Rind damals gewonnen hat. Oder war es das Angus-Rind? Auf jeden Fall nicht Katze, Hund oder ähnliches.

Aber mal was anderes: ich entwickle derzeit einen Intelligenztest für Haustierbesitzer und habe da eine Frage. Auf dem folgenden Bild siehst du Caesar, Cato und Wilson. Was glaubst du, haben sie gemeinsam:

HundKatzeWilson

 

A.) Sie sehen alle drei süß aus.

B.) Sie haben ein schönes Fell.

c.) Mit ihnen kann man sich prima unterhalten.

An Bord bleiben (MS Finnlady)

Aber ich bin an Bord geblieben.

Ich habe mich auf meine Koje verfügt und nachgedacht. Als mir das zu langweilig wurde, begann ich meine Umwelt (vice versa mich selbst) achtsam wahrzunehmen, exakt so, wie es heutzutage überall empfohlen wird: Nehme deine Welt achtsam wahr! Nehme deine Welt achtsam wahr und lasse dich nicht von vorgefertigten Meinungen narren!

Nun, die Kabine vermittelte eine merkwürdig Retro-Anmutung, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte. Das Licht war eine Mischung aus Funzel und Neon. Die Matratze war durchgelegen von Truckern und Truckerliebchen, der Schiffsdiesel brummte und das Meer gebärdete sich unbändig. Offensichtlich reagierte die Ostsee allergisch auf Landratten wie mich. Vielleicht hatte sie aber auch nur einen schlechten Tag. Gleichwie mir fiel da etwas auf, etwas Erstaunliches. Die Schiffsspitze hob und senkte sich im Rhythmus der Wellen, aber sie hob sich stets deutlich weniger als dass sie sich senkte! Dies ließ nur zwei Rückschlüsse zu. Entweder war die Fähre im Begriff zu sinken oder aber wir fuhren bergab! Da keine Alarmglocken läuteten, vermutete ich Letzteres. Ich schätzte die Differenz auf ungefähr 35 Zentimeter. Was konservativ geschätzt war! Rechnet man nun 6 Wellen pro Minute bei einer 30 stündigen Rückfahrt, dann ergibt sich daraus, dass Rostock 3.780 Meter tiefer als Helsinki liegt.

Dies war einer dieser unbezahlbaren Alexander-von-Humboldt-Momente und ich habe sofort eine Skizze angefertigt, in der Erkenntnis und Erlebnis anmutig korrelieren:

Skizze

Von Bord springen (MS Finnlady)

Auch das Springen von Bord wirft viele Fragen auf.

Nur ein Beispiel von vielen: Die Passagiere der MS Finnlady (Rostock-Helsinki-Rostock) werden per Durchsage (sehr!) regelmäßig darüber informiert, dass an Bord die East European Time gilt. Und nicht etwa die hundsordinäre Central European Time! Konkret bedeutet dies: Wenn ein Passagier sein Recht auf Selbstbestimmung dergestalt interpretiert, auf hoher See über die Reling zu springen – nehmen wir an, genau um 02:00 Uhr EET -, dann taucht er erstaunlicherweise ungefähr um 01:00 Uhr CET ins „kühle Nass“ ein! Doch was zunächst wie eine gute Nachricht klingt (immerhin hat derjenige eine gute Stunde gewonnen), erweist sich schnell als Startschuss für ein heikles Kuddelmuddel. Bei den derzeitigen Temperaturen braucht die Ostsee höchstens 15 Minuten um einen totzumachen. Doch wenn einer um 01:15 Uhr dahinscheidet, wer wird dann 45 Minuten später von Bord springen?

Es ist nur allzu verständlich, wenn sich Otto Normalverbraucher mit solchen Themata gar nicht beschäftigen will. Und ich auch nicht.