Author: Halbmast

Alpträume mit Zahnlücken

Heute um 5:oo Uhr morgens aufgewacht. Mit hämmernden Herzen, schweißgebadet, schnappatmend und bar aller Koordinaten. Springteufelchenzeit. Alles ist ungewiss, nur eins ist sicher: ich werde scheitern! Es wird eine Katastrophe geben. Ich bin der Aufgabe nicht gewachsen! Der Angstschweiß läuft in Strömen. Kein Ausweg. Zugesagt ist zugesagt. Es ist 5:00 Uhr morgens und ich bin verzweifelt.

Die Aufgabe: Essenszubereitung für cirka 25 grauenvollen Mittelschichtskindermonster (Der Kita-Koch ist krank!). Geschöpfe ohne Gnade. Verzogen und bösartig allesamt.
Die Aufgabe: Kochen, aber bitte so, dass die Kinder was essen. Also Bio und ohne Geschmack. Würzen tabu. Die kleinen Lieblinge mögen das nicht. Eigentlich mögen die gar nichts…
Die Aufgabe: Kochen ohne die Nerven zu verlieren.

Als ich die Kita später betrete, springen mich unverzüglich die ersten Monster an.
Was machst du heute hier?
N. ist krank, ich soll für euch was kochen, ihr lieben Kinder! entgegne ich ängstlich.
Iiihhh! schreien sie.

Wie gesagt. Ich werde scheitern. Es wird ein Desaster. Nicht die Nerven verlieren. Niemanden umhauen!

Die Rache: ich habe heimlich ein bisschen Muskatblüte in das Kartoffelpüree gerieben. Ein bisschen Aroma wird sie aus dem Konzept bringen…

 

Neue Universalien

1991 veröffentlichte der amerikanische Anthropologe Donald E. Brown sein Buch Human Universals und führte darin allerlei homosapiensmäßige Verhaltensweisen und kognitive Grundmuster auf, von denen er glaubte, sie seien kulturübergreifend und irgendwie zeitlos und die er deshalb zum Inventar der menschlichen Natur zählte. Mit sonniger Chuzpe und mit erfrischender Respektlosigkeit gegenüber der antiken und mittelalterlichen Philosophie nannte Brown diese hartnäckigen menschlichen Macken und Ticks „Universalien“, obwohl mit „Universalien“ ja eigentlich (hypothetische) metaphsische Entitäten (Ideen) gemeint sind, also etwas völlig anderes. Um seine begriffliche Unbekümmertheit auf die Spitze zu treiben, sprach Brown sogar von – bitte festhalten! – OBERFLÄCHENUNIVERSALIEN, ganz so, als wolle er beweisen, dass für einen echten Amerikaner eine contradictio in adiecto nur ein Fliegenfurz ist.

Doch in Zeiten multipler Antagonismen und des allgegenwärtigen Zanks sollten wir uns begrifflichen Kleinmut verkneifen und uns wieder der Gemeinsamkeiten aller Menschenkinder entsinnen. Egal ob du Grieche bist oder Deutscher, ob du Salafist bist oder intelligent ob du den Mainzer Karneval für lustig hältst oder ob du wirklich Humor besitzt, ob du Mann bist oder Maus, ob du eine Schnalle bist oder ein Bügelbrett, ob du in der Finanzwirschaft arbeitest oder ob du ein nützliches Mitglied der Gesellschaft bist, ob du für Kunst und Freiheit bist oder ProQuoteRegie : wir alle stammen vom Affen ab und müssen zusammen halten!

Und deshalb finde ich Browns Ansatz gut. Schluss mit dem ganzen Relativismus und so! Wir brachen Universalien! Mehr Universalien! Aus diesem Grunde habe ich in den letzten Tagen die Wirklichkeit sehr aufmerksam beobachtet und – es dürfte niemanden überraschen! – dabei gleich ein halbes Dutzend brandneuer Universalen entdeckt! Bitte schön, erkenne dich selbst, Meinesgleichen:

1. Im Parkhaus das Parkticket zwischen den Lippen einklemmen.

2. Die Fernbedienung für den Fernseher unter dem Sofa suchen.

3. Anderen die Schuld geben.

4. Im Verkehrsstau stehen und die Nasenlöcher deflorieren.

5. Angela Merkel Mutti nennen.

6. Ausrechnen, wieviel Artgenossen in genau diesem Augenblick weltweit simultan bumsen.

Zwei Ärgernisse an einem Morgen

1. Das soll Deflation sein? Der Liter Diesel kostete heute früh wucherhafte 1,14 Euro! Gestern noch waren es 105,9 Euro! So macht das Tanken echt keinen Fun mehr!

2. Geärgert habe ich mich zudem über die mollige Brötchen-Verkäuferin, dann über mich, dann wieder über die mollige Brötchen-Verkäuferin und schließlich noch einmal über mich…

Dabei wollte ich einfach nur einen Vollkorn-Wurzelzwerg kaufen, mehr nicht. Einfach nur einen verdammten Wurzelzwerg. Ist das zu viel verlangt? Doch was macht sie, die Verkäuferin? Sie reißt mich mit ihrem aufgekratzt-freundlichem Halli-Hallo-einen-wunderwunderschönen-guten-Morgen! rücksichtslos aus meiner post-somnabulen Misanthrophie! Zur Strafe habe ich nur vor mich hin geknurrt.

Dann tat es mir aber leid. Was für ein blöder Muffkopf ich doch bin! Da ist mal jemand nett und dann…

…fiel mir ein, dass ihre Freundlichkeit womöglich nur gestellt ist, gar nicht echt ist, nicht aus tiefsten Herzen kommt, sondern nur Teil einer abgefeimten Taktik zum Zwecke der Beförderung zur Chefbrötchenverkäuferin. Nur um dann, wenn sie ihr schäbiges Ziel erreicht hat, fortan fies zu ihren Kolleginnen zu sein und zu alten Omas, die scharf auf Hefezöpfe sind!

Doch da hat sie die Rechnung ohne mich gemacht! Ich habe also nicht nur weiter geknurrt, sondern auch noch extra böse gekuckt!

Als ich schlußendlich wieder im Auto war, ging mir auf, dass ich eventuell ein ziemliches Arschloch bin und besser heute zuhause geblieben wäre.

 

Seltsamer Haarausfall

Irgendein Arzt hier? Weiß jemand wie diese Krankheit heißt, bei der manchen Frauen die Augenbrauen ausfallen, sodass sie sie notdürftig mit einem Filzstift nachmalen müssen? Ist das ein Infekt? Etwas Genetisches? Gibt es ein sozial bedingtes Krankheitsrisiko? Was ist mit Heilungschancen? Und warum hört man von der Krankheit nichts? Tabuisiert unsere Gesellschaft da wieder einmal ein weit verbreitetes Leiden ohne Rücksicht auf die Betroffenen?

Hak’s ab!

Die Autos, die entlangfahren.
Die BMWS, die Audis, die Opels, die Maseratis.
Die bescheuerten Bäume, die Straßen, die Regenwürmer.
Die federlosen Zweibeiner allsamt.
Die Igitts! Gottes.

Die Wolken, der ganze Scheiß darunter.
Die Oper.
Der Atem, die Wege, die Stiche, die Auas.

Die Auswege. Und das Gelaber.
Alles Fehlkonstruktionen.

Alles nicht vonnöten.
Unentbehrlich für nichts.
Alles falsch, alles Fehlkonstruktionen.
Ich hab’s nicht gebaut.
Ich hab’s nicht gewollt.

Von Beginn an eine elende Frist.
Einsam ganz von allein.
Automatisch doof.
Und doof bis ganz zuletzt.
Alle Ausnahmen nur DIN Null Nichts.

Die orangen Wolken und der ganze Scheiß darunter.
Hak’s ab!

Atomstrom

Ich erhalte einen Anruf von der Energiezentrale.
Von der Energie-Was?
Na, von der Energiezentrale! Und mein Name ist Sandra Kirsch, sagt die Dame am Telefon.

Ach so, sage ich.

Ich würde ja in den nächsten Tagen einen Anruf von meinem Energieberater bekommen und dieses Gespräch wolle sie, Sandra Kirsch, nun inhaltlich ein wenig vorbereiten!
Von einem Energieberater wüsste ich nichts, unterbreche ich sie und ich würde auch keine Beratu…

Ich bereue augenblicklich. Man soll nicht immer alles abblocken! Man muss sich dem Leben öffnen! Hier bietet sich die Chance zu einem Gespräch! Wer bin ich, sie nicht zu nutzten!
Also schiebe ich nach: …wie kann ich ihnen denn helfen?

Andersrum, erwidert Frau Kirsch professionell. Wir möchten IHNEN helfen! Zunächst müsse sie wissen, ob unser Haushalt konventionellen Strom, also Atomstrom beziehe, oder ob wir einen Vertrag über Mix-Strom , bzw. Öko-Strom hätten.

Mein Stichwort ist gefallen. Es hat keinen Sinn mehr, länger an mich zu halten!

Ich hoffe doch sehr, antworte ich, dass der Strom aus meiner Steckdose guter, alter, kraftvoller Atomstrom sei! Ich halte nämlich absolut nichts von funzeligen Öko-Strom und flackernden Lampen! Ich bin kein Bummelstudent!  Wir hier brauchen volle Power! Wir brauchen Atomstrom! Nur eins ist noch besser als Atomstrom, wissen sie? Atomstrom aus explodierenden Atomkraftwerken! Das ist das Maximum an Power. Da laufen dann alle Geräte im Haus auf Hochtouren! Wichtig ist nur, das der Atomstrom aus explodierenen Atomkraftwerken aus fernen Ländern stammt. Russland oder Pakistan oder so. Wegen der Strahlung! Darauf legen wir großen Wert!

Das sage ich der Dame am Telefon. Und dann sage ich ihr noch, dass ich kein Gespräch mit einem Energieberater wünsche, da ich selber schon ganz genau weiß, wo der Hase langläuft.

Natürlich.Das werde ich hier notieren, selbstverständlich, sie wünschen keine Beratung, sagte die Dame und beendet unser schönes Gespräch mit einem Seufzer.
Es war ein Gespräch, dass mir gut getan hat. Ich fühle mich jetzt leichter, frischer und dynamischer.

Bei ALDI

Später, als alles vorbei war, wurde mir die bezaubende Koinzidenz der Zufälle bewusst, da schien es denn, als hätte die Wirklichkeit synron meine Gedanken illustriert, doch in dem Moment in dem es geschah, bemerkte ich es nicht, da nervte mich alles nur ungemein…

Ich stand vor der Kühltheke, packte Bio-Joghurts in das Wägelchen und dachte über eine Formulierung von Adam Smith nach, die ich kürzlich irgendwo gelesen hatte: …die Gifte der Inbrunst und des Aberglaubens.

Wie schön! Wie treffend Inbrunst als ein Gift zu bezeichnen. …die Gifte der Inbrunst und des Aberglaubens. Diese Formulierung wollte ich in mein Waffenarsenal aufnehmen!

So dachte ich vor mich hin, alldieweil zwei Gänge hinter mir Richtung Backautomat, ein aggressives Gebrülle anhob. Wenn schon, irgendein Arsch praktiziert da Meinungsfreiheit, das ignoriere ich jetzt einfach mal. Allein der echauffierte Zeitgenosse echauffierte sich immer weiter, das Gebrülle wurde immer lauter, mit dem Ignoriernen wurde das so nichts. Also ließ ich den Einkaufswagen stehen und ging rüber um mir anzuschauen, was es anzuschauen gab.

Da war ein Mann mittleren Alters: Jeans, Funktionsjacke, Collegeschuhe, gepflegt, einer der durchs nichts auffallen würde, wenn er nicht gerade zwei Frauen in langer schwarzer Garderobe und Niqab anbrüllen würde!

Sein Vokabular war duchweg standardsprachlich, seine Sätze grammatikalisch korrekt, das war kein Prolet. Er stand ungefähr zwei Meter von den Frauen entfernt und mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand schien er auf einem unsichtbaren Knopf Sturm zu klingeln. Seine Botschaft besagte im Groben, dass wir alle uns hier in Deutschland befänden und man hier eben keine Gesichtsverschleierung trüge und das man erwarten dürfe, dass sich auch Leute wir sie (Klingelinglingeling!) anzupassen würden und dass auch Leute wie sie (Klingelinglingeling!) sich vom Terrorismus distanzieren mögen, gerade jetzt sei das zu verlangen und dass eine Geduld bald aufgebraucht sei!

Die beiden Frauen waren unterdessen ein wenig zusammengerückt, standen aber dann ganz reglos da. Ebenso wie alle anderen Kunden und ich auch. Ich stand einfach nur da und überlegte, ob es notwendig sei einzugreifen. Für denn Fall, dass der Typ handgreiflich werden würde, war das keine Frage, aber er schien – obwohl er hoch erregt war – doch noch über einen Rest Selbstkontrolle zu verfügen. Trotzdem, sollte man nicht in einer solchen Situation Stellung beziehen? Die beiden Frauen wurden vor meinen Augen Opfer einer widerwärtigen Pöbelei, ich hasse ein solches Verhalten und ich verachte diese sich einkotenden Pegida-Zombies – aber ich blieb stehen und wartete ab.

Die Szene löste sich abrupt auf. Der Normalmann drehte sich um und verließ wortlos und völlig überraschend in schnellen Schritten die ALDI-Filiale. Vielleicht, weil er glaubte alle seine Argumente vorgetragen zu haben, vielleicht um sich vor schlimmerer Dummheit zu bewahren, vielleicht, weil ihn ein plötzliches Schambewußtsein überkam oder einfach nur, weil er dramatische Abgänge liebte. Weg war der Widerling und mir fiel auf, dass ich in der ganzen Zeit nicht das geringste Mitgefühl für die Frauen empfunden hatte. Null Empathie! War ich also in jener kleinen, unappetilichen Szene letztlich Zeuge meines eigenen impliziten Rassismus geworden?

Trimmen wir diesen Beitrag nicht künstlich auf Nachdenklichkeit! Machen wir es nicht allzu spannend: Nein, mein liebes Gewissen, halt’s Maul, ich habe mich rundum korrekt verhalten!

Denn wie zum Geier sollte ich die Damen als Individuen wahrnehmen, wenn sie ihr Gesicht verschleiert hatten? Und wie sollte ich Empathie für sie aufbringen, wenn sie sich dem elementaren Bekenntnis sie selber zu sein , der klassischen Visagen-Präsentation, verweigerten? Und stellte nicht eigentlich der Niquab ein Ressentiment mir gegenüber dar? Und provoziert der Niquab außerhalb seiner lokalen Sittlichkeit nicht beinahe zwangsläufig eine gewisse negative Gegenseitigkeit? Und rechtfertigt dies, dass irgend so ein aufgescheuchter Pegida-Zombie mir mit seinem Gebrüll den Vormittag versaut?

Grundgütiger, was leben wir in hysterischen Zeiten! Nicht einmal mehr ein Einkauf im Discounter geht glatt über die Bühne. Ich war froh als ich wieder in meinem Auto saß und die Richtgeschindigkeit missachten konnte.

Einkaufsliste

10 Liter Bio-Milch
12 Liter Apfelsaft naturtrüb1 Ingwer Konfitüre
1 Maronencreme
1 Orangenmarmelade
1 Schwarzkischmarmelade
2 Pomodori pelati (Mutti)
3 Echiré Butter
20 Bio Eier
1 Zartbitter Schokolade
6 Guinnes
12 Schöfferhofer Grapefruit
Knoblauch
Schalotten
2 kg. Schokomüsli
1,5 kg. Baby-Spinat
1 kg. Champinons
getrochnete Steinpilze
Sellerieknolle
1 kg. Möhren
Ingwer
3 Auberginen
3 Zucchini
5 kg. Kartoffel
1 Sainte Maure
3 Epoisses
2 Langres
Gouda
10 Crottins de Chevre
1 kg. Comte
1, 5 kg. Parmaschinken
500 gr. Parmesan
1 Madeira Henriques ans Henriques 10y.
5 Packungen Maronen
3,1 kg. Filet (Angus-Rind)
3,2 kg. Roastbeef
1.2 Kg. Lammfilet (frisch)
6 Schlagsahne
2 Cellarius von Berlucchi
2 Faro Palari von Geraci
2 Chianti Riserva von Catello di Ama
2 Zanno Riserva von Dino Illuminati
1 Butaris
6 Chicoree
1 Kürbiskernöl
2 Liter Coca Cola Zero
1 Nougatpralinen
3 Schwarzbrot
3 Toastbrot

1 Nordmann

 

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