Bei ALDI

Später, als alles vorbei war, wurde mir die bezaubende Koinzidenz der Zufälle bewusst, da schien es denn, als hätte die Wirklichkeit synron meine Gedanken illustriert, doch in dem Moment in dem es geschah, bemerkte ich es nicht, da nervte mich alles nur ungemein…

Ich stand vor der Kühltheke, packte Bio-Joghurts in das Wägelchen und dachte über eine Formulierung von Adam Smith nach, die ich kürzlich irgendwo gelesen hatte: …die Gifte der Inbrunst und des Aberglaubens.

Wie schön! Wie treffend Inbrunst als ein Gift zu bezeichnen. …die Gifte der Inbrunst und des Aberglaubens. Diese Formulierung wollte ich in mein Waffenarsenal aufnehmen!

So dachte ich vor mich hin, alldieweil zwei Gänge hinter mir Richtung Backautomat, ein aggressives Gebrülle anhob. Wenn schon, irgendein Arsch praktiziert da Meinungsfreiheit, das ignoriere ich jetzt einfach mal. Allein der echauffierte Zeitgenosse echauffierte sich immer weiter, das Gebrülle wurde immer lauter, mit dem Ignoriernen wurde das so nichts. Also ließ ich den Einkaufswagen stehen und ging rüber um mir anzuschauen, was es anzuschauen gab.

Da war ein Mann mittleren Alters: Jeans, Funktionsjacke, Collegeschuhe, gepflegt, einer der durchs nichts auffallen würde, wenn er nicht gerade zwei Frauen in langer schwarzer Garderobe und Niqab anbrüllen würde!

Sein Vokabular war duchweg standardsprachlich, seine Sätze grammatikalisch korrekt, das war kein Prolet. Er stand ungefähr zwei Meter von den Frauen entfernt und mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand schien er auf einem unsichtbaren Knopf Sturm zu klingeln. Seine Botschaft besagte im Groben, dass wir alle uns hier in Deutschland befänden und man hier eben keine Gesichtsverschleierung trüge und das man erwarten dürfe, dass sich auch Leute wir sie (Klingelinglingeling!) anzupassen würden und dass auch Leute wie sie (Klingelinglingeling!) sich vom Terrorismus distanzieren mögen, gerade jetzt sei das zu verlangen und dass eine Geduld bald aufgebraucht sei!

Die beiden Frauen waren unterdessen ein wenig zusammengerückt, standen aber dann ganz reglos da. Ebenso wie alle anderen Kunden und ich auch. Ich stand einfach nur da und überlegte, ob es notwendig sei einzugreifen. Für denn Fall, dass der Typ handgreiflich werden würde, war das keine Frage, aber er schien – obwohl er hoch erregt war – doch noch über einen Rest Selbstkontrolle zu verfügen. Trotzdem, sollte man nicht in einer solchen Situation Stellung beziehen? Die beiden Frauen wurden vor meinen Augen Opfer einer widerwärtigen Pöbelei, ich hasse ein solches Verhalten und ich verachte diese sich einkotenden Pegida-Zombies – aber ich blieb stehen und wartete ab.

Die Szene löste sich abrupt auf. Der Normalmann drehte sich um und verließ wortlos und völlig überraschend in schnellen Schritten die ALDI-Filiale. Vielleicht, weil er glaubte alle seine Argumente vorgetragen zu haben, vielleicht um sich vor schlimmerer Dummheit zu bewahren, vielleicht, weil ihn ein plötzliches Schambewußtsein überkam oder einfach nur, weil er dramatische Abgänge liebte. Weg war der Widerling und mir fiel auf, dass ich in der ganzen Zeit nicht das geringste Mitgefühl für die Frauen empfunden hatte. Null Empathie! War ich also in jener kleinen, unappetilichen Szene letztlich Zeuge meines eigenen impliziten Rassismus geworden?

Trimmen wir diesen Beitrag nicht künstlich auf Nachdenklichkeit! Machen wir es nicht allzu spannend: Nein, mein liebes Gewissen, halt’s Maul, ich habe mich rundum korrekt verhalten!

Denn wie zum Geier sollte ich die Damen als Individuen wahrnehmen, wenn sie ihr Gesicht verschleiert hatten? Und wie sollte ich Empathie für sie aufbringen, wenn sie sich dem elementaren Bekenntnis sie selber zu sein , der klassischen Visagen-Präsentation, verweigerten? Und stellte nicht eigentlich der Niquab ein Ressentiment mir gegenüber dar? Und provoziert der Niquab außerhalb seiner lokalen Sittlichkeit nicht beinahe zwangsläufig eine gewisse negative Gegenseitigkeit? Und rechtfertigt dies, dass irgend so ein aufgescheuchter Pegida-Zombie mir mit seinem Gebrüll den Vormittag versaut?

Grundgütiger, was leben wir in hysterischen Zeiten! Nicht einmal mehr ein Einkauf im Discounter geht glatt über die Bühne. Ich war froh als ich wieder in meinem Auto saß und die Richtgeschindigkeit missachten konnte.

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