Month: Mai 2014

Piepmeisenalarm

In Bonn löst derzeit der Kommunalpolitiker Jürgen Repschläger, Kandidat der Partei DIE LINKE, schrillen Piepmeisenalarm aus. In beeindruckend bildungsnahen und vornehmen Worten ruft er von sämtlichen Plakaten zu, zu, ähm, zu..

Oh, Hermes, hilf! Ja, wozu ruft Repschläger eigentlich auf? Was will der gute Mann? Das zu verstehen, reicht ein Hirn alleine nicht aus (meins zumindest nicht), schaut deshalb auch ihr einmal:

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Plädiert Repschläger nun für einen Sturm der Werktätigen auf die Bühnen der Stadt („bemächtigt euch ihrer“) um sie von unseren bourgeoisen Theaterfritzen zu befreien? Hebebühnen statt Schmierenkömödien?

Oder plädiert Repschläger dafür, die bourgeoisen Theaterfritzen mit mehr Steuergeldern zu versorgen, um sie noch unabhängiger von der Wirklichkeit zu machen? Soll Kultur mit dem Geld der Kulturbanausen – vulgo: der Werktätigen – „gefördert“ werden?

Das sind Fragen, die gefragt werden müssen. Fragen, eines einfachen Mannes. Mögen sich Genies der Antworten bemächtigen!

Das Brot ohne Eigenschaften

Zwei freundliche Hotelgäste – sie geben sich als schwedische Geschäftsmänner zu erkennen – setzten sich zu mir an den Frühstückstisch. Als mein Blick auf ihren Teller fällt, wünschte ich, ich wäre ein besserer Kontingenzbewältiger. Da ist etwas, für das es keine vernünftige Erklärung gibt, etwas, wofür ich frühmorgens nicht gerüstet bin. Da sind je zwei Scheiben Graubrot auf ihrem Teller. Mit feuchter Salami und Margarine.

Salami und Margarine ließen sich ja noch als bloße Geschmacklosigkeit auffassen, das Graubrot aber ist eine Kriegserklärung an die Lebensfreude, eine Dingwerdung des Nihilismus.

Um es klar zu sagen: das Buffet liefert keinerlei Entschuldigung dafür, das biegt sich unter der Last lecker Gaben! Da gibt es Käse bis zum Abwinken, Honig, Konfitüren, gekochten Schinken, Parmaschinken, Mortadella, Chorizo, luftgetrocknete Walnussalami, Spiegeleier und Speck, Joghurts und sogar Müsli. Und vor allem gibt es da richtiges Brot, kräftiges, knuspriges, duftendendes Brot, Schwarzbrot und Baguette und Brötchen und Mehrkornbrötchen gibt es da. Alles, was das Herz begehrt.

Und was machen diese schwedischen Honks? Wie vom bösen Demiurgen ferngesteuert greifen sie zum Graubrot, zu spotten und zu verhöhnen des Lebens pralle Vielfalt. Was übler ist am Graubrot, weiß ich nicht: sein trister, final-entropischer Teig oder der industriell, makellose Schnitt seiner Scheiben.

Brot gehört gebrochen oder krumm und schief geschnitten, aber sicher nicht in gelaserten Portionen dargereicht! Einen Augenblick überlege ich, das Thema anzusprechen – auch die Sache mit der feuchten Salami -, dann fällt mir ein, dass die beiden freundlichen Herren aus einem Land kommen, wo man ohne Wimpernzuck fermentierten Hering verzehrt.

Als ich mich vom Frühstückstisch verabschiede, nehme ich mir fest vor, die Kunst der negativen Aufmerksamkeit besser zu lernen.

Bachforellen

Wir sind zu einem meiner Kindheitsorte gefahren, was wir immer öfter tun in letzter Zeit, was hoffentlich nichts Schlimmes zu bedeuten hat, wer weiß es.

Da, wo der Bach in den Fluß mündet, steht immer noch die Papierfabrik, ein finsteres, verlorenes Backsteingebäude, dass das Tal dahinter vor neugierigen Städtern schützt. Hier stockt der gemeine Wandersmann, das sieht gar nicht einladend aus hier, hier dreht er ab.

Doch das Tal, dass der Bach durchschlängelt, wird schöner und schöner mit jedem Schritt, dem man seinem Lauf folgt. Schließlich säumen anmutige Morgen Blumenwiese den Weg. Dort haben wir immer gepicknickt. Mein Lieblingsonkel, der sich mit dem Rücken auf die Decke fallen ließ und immer sagte: Ich plädiere auf Freispruch! Die Fresskörbe, die wir Kinder systematisch leermampften. Die tausend Wettkämpfe, die meine Cousins und ich uns einfallen ließen. Und der Bach.

Es ist leicht die Stelle zu finden, wo wir die Staudämme bauten. Wir standen Stunden im Wasser, bis unsere Füße blau waren. Unter allen Steinen, die wir umdrehten, war irgendein Tiergedöns. Wasserspinnen, Regenwürmer, Käfer merkwürdigster Art, flüchtender Glibber. Ich erkenne die Silberweiden und Eschen wieder, ihr urzeitliches Wurzelwerk. Verstecke für Viehcher, die man nie richtig zu sehen bekam.

Nun, 40 Jahre später, ächzt Josephine unter der Fron des Baches. Sie schleppt unermüdlich Steine herbei und wirft sie ins Wasser. Wir müssen aufpassen, dass unser Staudamm nicht das Ufer überschwemmt, sagt sie. Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen, stimme ich ihr zu.

Ein zeitlang stehe ich ganz still. Damals waren hier Forellen, aber jetzt kann ich keine sehen. Aber ich weiß, dass sie in der Nähe sind. Sie stehen irgendwo in der Strömung und warten bis wir wieder verschwunden sind.