Pöbel

Was erlauben Schweiger?

Der deutsche Schauspieler Til Schweiger hat etwas sehr Ungehöriges getan: nämlich hat er – obwohl er nicht einmal einen Studienabschluß besitzt! – seine Meinung geäußert. Neulich. Einfach so – mir nichts, dir nichts! Seine Meinung geäußert! Der Schweiger! Zum Fall Edathy.

Sehr erschwerend kommt hinzu, dass nicht nur Schweigers Til, sondern auch noch andere – ganz, ganz viel andere! – ihre Meinung geäußert haben und dieser bedrohliche Missstand hat den bekannten deutschen kritischen Journalisten Jakob Augstein auf den Plan gerufen und veranlasst, beherzt den Rechtsstaat zu verteidigen! Gegen Mob und Netz und gegen Schweiger!

Und schon im Titel seiner Rechtsstaatsapologie zeigt er dem meinungsmanischen Mob wo der Hammer hängt: Das ungesunde Volksempfinden. Das ungesunde Volksempfinden – aha! Darum geht’s also.

Wir erinnern uns: 1933 wurde in der Denkschrift des Preußischen Justizministers über das künftige nationalsozialistische Strafrecht das „gesunde Volksempfinden“ als Referenz für richterliche Entscheidungen reklamiert und ab 1935 genoss dieses offiziell Priorität gegenüber formalem Recht!

Wer wünschte sich angesichts dessen nicht ganz spontan, Minderheit zu sein, auf dass einem das Schicksal erspart bleibe, von Augstein dem Volk und seinem tumben Empfinden zugerechnet zu werden! Eigentlich lässt einem der Titel schon gar keine Wahl mehr: aus historischen Gründen ist Augstein zuzustimmen, gleich welchen Blödsinn er auch immer schreibt!

Und das tut er ja schon ein bisschen – Blödsinn schreiben:

Seine Strafe sind nicht die 5000 Euro […]. Seine Strafe ist der soziale Tod. Der Meute genügt das nicht. Sie will mehr. Das Netz kocht. Mehr als 180.000 Menschen hatten bis Donnerstagmittag eine „Petition“ gegen den Gerichtsbeschluss unterzeichnet. Beim Thema Pädophilie äußert sich das ungesunde Volksempfinden. Die mangelnde Barmherzigkeit, die man dem Täter vorwirft, die zeigt man selber.“

Seine Strafe ist der soziale Tod. Was meint Augstein eigentlich damit? Gibt es etwas daran zu beklagen, dass Edathys Hobbys sich nicht allgemeiner gesellschaftlicher Akzeptanz erfreuen?  Hält Augstein die Ablehnung von Pädophilie für eine krankhafte Zeiterscheinung? Ist der rechtsbewusste Ex-Politiker Opfer einer willkürlichen sozialen Ächtung?

Und schließlich: wenn Augstein die öffentliche Reaktion so unchristlich findet, wer hindert ihn öffentlich Freundschaft mit Edathy zu schließen? Beide könnten im sozialen Bereich doch vieles bewegen! Beispielsweise könnten sie – zusammen mit ein paar Alt-Grünen – einen Förderverein für antike Kultur und Naturschönes gründen, über die Paideia im Verhältnis von Erastes und Eromenos diskutieren, gemeinsam das Naserümpfen üben und ihre Ergebnisse dann in Vierteljahreszeitschriften publizieren! So etwas kommt immer gut! Ich bin mir sicher, ein solches Projekt fände länderübergreifend Zustimmung. Der soziale Tod von dem Augstein spricht, ließe sich also durchaus verhindern!

Ich persönlich kenne mich mit der Meute nicht so gut aus, aber wer ein bisschen Nietzsche gelesen und ein bisschen in die Soziobiologie reingeschnuppert hat, weiß natürlich schon, dass es kollektive Straflust gibt und das die Reklamation von Moral seltenst ohne Ausgrenzung und Doppelmoral funktioniert. Warum aber Augstein eine Petion, die die Aufnahme eines rechtsstaatlichen(!) Verfahrens fordert, als Hatz und als Zeichen von Unbarmherzigkeit deutet ist mir schleierhaft. Nochmals: gefordert wurde meines Wissens ja kein Lynchmaßnahme, sondern nur juristische Klärung. Das ein Verteidiger des formalen Rechts formales Recht als Unbarmherzigkeit deutet, ist argumentationtheoretisch schon höchst bemerkenswert!

Der Weg zum Richteramt ist hart in Deutschland: Mindestens vier Jahre Jurastudium, zwei Jahre Referendariat, zwei Staatsexamen, alles mit hervorragenden Noten, dann die Probezeit. Das sind die Voraussetzungen, wenn man an einem ordentlichen Gericht über Schuld und Unschuld eines Angeklagten befinden will.

Im Internet geht es offenbar schneller. Zum Beispiel Til Schweiger. Er hat Germanistik und Medizin studiert und abgebrochen und seitdem unter anderem als Synchronsprecher für Pornofilme, als Schauspieler und als Regisseur gearbeitet. Warum nicht? Das sind alles Jobs, die gemacht werden müssen. Aber befähigen sie Schweiger dazu, der Causa Edathy etwas Sinnvolles hinzuzufügen? Und was ist mit den übrigen Zehntausenden von hasserfüllten Kommentatoren, die sich im Netz zum Fall des SPD-Politikers geäußert haben, auch auf der Facebook-Seite von SPIEGEL ONLINE? Alles lauter Rechtsexperten?

Hier stellt sich nun die Frage, was denn Augstein selber befähigt, Sinnvolles zur Causa Edathy beizutragen? Ist er Jurist? Nein, ist er nicht. Hält ihn das davon ab, sich ausführlich zu jurischen Fragen zu äußern? Keineswegs! Das hat es auch noch nie – erinnern wir uns nur an seine Ausführungen zur Causa Wulff, als er dem damaligen Bundespräsidenten attestierte „seine Würde verloren“(!) zu haben und ihm die „reinigende Qual der Reue„(!) empfahl. Lange bevor Wulff vom Landgericht Hannover vom Vorwurf der Vorteilsnahme freigesprochen wurde!

Weiterhin ist zu fragen, wem ist es eigentlich vorbehalten sein soll, sich zu welchen Themen zu äußern? Dürfen sich Verlegersöhne und Germanisten und Politologen zu allem äußern? Gibt es irgendwelche Genie-Paragraphen, in denen das Recht der Rede geregelt wird? Darf Redefreiheit überhaupt dem Mob gewährt werden? Hier sollte Augstein dringend Aufklärung leisten!

Im weiteren Verlauf seiner Rechtsstaaatsapologie informiert Augstein alle Nicht-Juristen dann über den Paragraphen 153a und darüber, das nichts üblicher sei als die Einstellung eines Strafverfahrens nach dem Opportunitätsprinzip. Hier hat hat Augstein zweifelsfrei recht, in Frage steht allerdings nicht, ob es die besagte Rechtspraxis gibt, sondern ob die Anwendung von 153a im Fall Edathy richtig und angemessen war. Ich selber kann das nicht beurteilen, aber ich bin mir sicher, dass es nicht völlig abwegig ist, eben dies zu bezweifeln. Darüber hinaus bin ich sehr glücklich in einem Staat zu leben, der öffentliche Kritik an Rechtsinstutitionen und Rechtssprechung gestattet. Womöglich hat dies sogar etwas mit dem Wesen von Demokratie zu tun.

„Stern.de hat dem Schauspieler Til Schweiger in der Sache Edathy einen Kommentarplatz zur Verfügung gestellt. Schweiger befasst sich seit längerer Zeit unter anderem mit dem Kampf gegen Kinderpornografie. Jetzt prügelt er auf Edathy ein: „Wie kalt er in den vergangenen Monaten agiert hat“, „Ich finde das alles: erbärmlich. Schrecklich. Herr Edathy, Ihr larmoyantes Verhalten ist zum Kotzen.“ Die Einstellung des Verfahrens müsse „doch jedem Pädophilen Mut machen“. „Ich kommentiere, weil ich die Einstellung des Verfahrens nicht verstehe und nicht begreifen will.“

Erstaunlich. Die Sachlage scheint doch eher die zu sein: Schweiger äußert seine Meinug – prügeln tut er Edathy nicht. Falls Augstein die Bedeutung des Verbs prügeln nicht versteht, sollte er schnell im Wörterbuch nachschlagen oder aber seine Thesen zu Barmherzigkeit und Urteilsmaß bei Pädophilie in einer deutschen Justizvollzugsanstalt vortragen. Ich vermute, er wird den Begriff prügeln danach weniger undifferenziert verwenden.

Jakob Augsteins Rechtsstaatsapologie bietet noch manches an Unsinn und an subtiler Pöbelei –  lassen wir es gut sein, bevor hier noch jemand an Langeweile stirbt. Kommen wir besser unverweilt zur Moral vom Ulk.

Was spricht denn dagegen, wenn Leute wie Augstein zu einem maßvollen Urteil der Öffentlichkeit aufrufen? Nichts, gar nichts. Das Problem ist nur, er selber hält sich nicht daran. Denn sein Urteil den aufgebrachten Mitbürger und Mitbürgerinnen gegenüber ist geprägt von Herablassung, sozialem Dünkel und Ressentiment. Die Kritik an der Empörungslust des facebook– und Twitter-Mobs ist selber Hype. Klar, cooler wäre es, cool zu sein, aber Aufregung bedeutet nicht per se Irrtum. Nein, die Herablassung ist eine Reaktion der Berufsintellektuellen auf den Kontrollverlust über die ideologische Logistik durch das Aufkommen der sozialen Medien. Es ist die Angst vor dem Verlust der angestammten Interpretationhoheit. Augstein, ich behalte das im Auge!

 

PS. Gerade eben werde ich auf einen Artikel von Bundesrichter Thomas Fischer in der ZEIT aufmerksam, der sich ebenfalls mit der Verfahrenseinstellung beschäftigt und der einen eigenen Kommentar verdient. Herrlich! Meine These vom kompensatorischen Dünkel des Bildungsbürgertums hätte nicht schöner illustriert werden können. Das müssen wir uns unbedingt mal näher anschauen. Nur soviel: der wahre Skandal im Fall Edathy spielt sich Fischer zufolge im Kopfkino von „Zustellfahrern“, „Verkäuferinnen“, „Werkzeugmachern“ und „Rentnern“ab! Thomas Fischer: ein Fall für Urknall und Dingsbums!

PPS. Was Edathy betrifft: lebe er in Frieden, gehe er seines Weges! (Jedenfalls solange dieser ihn nicht an Grundschulen und Gymnasien vorbeiführt.)