Rechtswirksamer Standesdünkel

Immer öfter ist von Lebensleistung die Rede und zwar dann, wenn irgendwelche Privilegien begründet oder wenn Milde im öffentlichen oder richterlichen Urteil gegenüber Bessergestellten gefordert wird. Alle Menschen sind natürlich quasi gleich, aber nicht jeder kann eine inkommensurable Größe wie Lebensleistung zu seinen Gunsten beanspruchen (wie zuletzt  Hoeneß, Uli und Schavan, Annette ). Wo kämen wir hin, wenn jeder x-beliebige Verbrecher sich darauf beriefe, dass er, abgesehen von dem, was er verbrochen hat, nichts verbrochen hat und er deshalb – über den Daumen gegepeilt und lebensleistungsmäßig -, als Ehrenmensch zu betrachten sei!

Man täusche sich nicht: der Salomismus, die menschelnde Berücksichtigung lebensgeschichtlicher Verdienste, ist weder mild noch weise, sondern lediglich eine Form des Mia san Mia. Erstaunlich, wie wenig beanstandet die Vermessenheit des Begriffs Lebensleistung bleibt.

19 comments on “Rechtswirksamer Standesdünkel

  1. Alaska 21. März 2014 14:59

    Sehr Richtig.

    In diesem Sinne wäre auch die Praxis zu verurteilen, im Strafvollzug bei „guter Führung“ etwa Hafterleichterungen oder sogar -verkürzungen zu gewähren.

    „Net gschimpft isch globt gnug!“

  2. Alaska 6. Mai 2014 19:23

    Ein weiteres erschütterndes Beispiel für Strafrelativismus:

    „Jahr für Jahr verging, aber sie holten mich nie ab“, sagte er vergangenen Monat zu AP. Das vermutlich daran, dass der zuständige Justizbeamte vergaß, das Gericht darüber zu informieren, dass Anderson nach seinem Urteil vorerst nach Hause gehen durfte.

    Dort lebte Anderson sein Leben weiter: Er gründete mehrere Bauunternehmen sowie eine Familie mit mehreren Kindern, er betreute eine Football-Jugendmannschaft und engagierte sich in seiner Kirchengemeinde.

    Im Juli 2013 sollte Andersons Haft enden – genau da fiel einem Mitarbeiter der Gefängnisbehörde von Missouri auf, dass er sie nie angetreten hatte. Acht Vollzugsbeamte holten Anderson unverzüglich zuhause ab, seither saß er in Haft. Bis vergangenen Montag: Nach einer Anhörung entließ ihn Richter Terry Lynn Brown wegen vorbildlichen Lebenswandels vorzeitig aus dem Gefängnis.“

  3. Alaska 6. Mai 2014 19:44

    Wobei das ja wiederum ein Beweis für Hoeneß Größe ist:

    Er sprach von Häme und Pranger, nahm aber Gericht und Staatsanwalt ausdrücklich von seiner Kritik aus: „Sie haben ihren Job gemacht.”

    Also ein Freispruch für den Richter, quasi.

    • Halbmast 11. Juni 2014 9:57

      Da kommt gewiss noch einiges an Lebensleistungs-Deklaration auf uns zu demnächst (A.Schwarzer). Ich selber frage mich unterdessen, ob eigentlich meine eigene Lebensleistung schon groß genug ist, mir kleinere Gaunereien erlauben zu dürfen. Reicht’s für einen Oma-Handtaschenraub oder für kreative Spesenabrechnung? Oder muss ich erst ein weiteres Jahrzehnt frisch geduscht und pünktlich zur Arbeit erscheinen?

      Höchste Zeit für eine behördliche Lebensleistungs-Datei, bei der die Bürger ihren aktuellen Status abrufen können!

  4. Halbmast 14. Juni 2014 10:11

    Du bist da doch Spezialist: ist Lebensleistung so etwas wie säkulares Karma?

    • Alaska 14. Juni 2014 10:33

      Ja, gewissermaßen:

      Was aber ist die Verschiedenartigkeit des Wirkens?

      Es gibt ein Wirken, das in der Hölle reift;
      es gibt ein Wirken, das im Tierschoße reift;
      es gibt ein Wirken, das im Gespensterreiche reift;
      es gibt ein Wirken, das in der Menschenwelt reift;
      es gibt ein Wirken, das in der Götterwelt reift.

      Das, ihr Mönche, nennt man die Verschiedenartigkeit des Wirkens. –

      Was aber ist das Ergebnis des Wirkens? Dreierlei, sage ich, ihr Mönche, ist das Ergebnis des Wirkens:

      es hat ein Ergebnis entweder in diesem Leben
      oder im nächsten
      oder in einem späteren (vgl. A.III.34).

      Das, ihr Mönche, nennt man das Ergebnis des Wirkens. –

      (Anguttara Nikaya VI.63 Die durchdringende Darlegung – 9. Nibbedhika Sutta)

      • Alaska 14. Juni 2014 10:34

        Das sollte natürlich nicht durch-, sondern unterstrichen sein.

  5. Alaska 15. Juni 2014 15:26

    Die bisherige Lebensleistung hat also durchaus Einfluß darauf, ob und welche Missetat sich überhaupt und wenn ja wie rächt:

    Was meint ihr wohl, ihr Mönche: gesetzt, es würde ein Mann einen Klumpen Salz in eine kleine Tasse voll Wasser werfen; würde da wohl das wenige Wasser in der Tasse durch jenen Salzklumpen salzig und ungenießbar werden? –

    »Gewiß, o Herr.« – »Und warum?« – »Es befindet sich ja, o Herr, nur sehr wenig Wasser in der Tasse. Das würde durch jenen Klumpen Salz salzig werden und ungenießbar.« –

    »Wenn aber ein Mann einen Klumpen Salz in den Gangesstrom wirft, was meint ihr da, o Mönche, würde dann das Wasser des Gangesstromes durch jenen Salzklumpen salzig und ungenießbar werden?« – »Das wohl nicht, o Herr.« – »Und warum nicht?« – »Es befindet sich ja, o Herr, eine gewaltige Menge Wasser im Gangesstrom; das würde durch jenen Klumpen Salz nicht salzig und ungenießbar werden.« –

    »Ebenso, ihr Mönche, ist es mit einem, der nur ein kleines Vergehen verübt hat, und es bringt ihn zur Hölle. Und ein anderer hat eben dasselbe kleine Vergehen verübt, doch es reift noch bei Lebzeiten, und nicht einmal eine kleine Wirkung tut sich [später] kund, geschweige denn eine große.

    (Anguttara Nikaya III.101 Die Karmawirkung – 9. Loṇakapalla Sutta)

    Wobei nicht nur die Lebensleistung des gegenwärtigen Lebens, sondern auch die des vorhergehenden Lebens oder noch weiter zurückliegender Leben in die Wertung eingeht. Ein aktuelles Beispiel ist das Schicksal der englischen Fußballnationalmannschaft:

    „Es ist ein enttäuschendes Resultat, wir brauchen Zeit, um das zu verdauen“, sagte Hodgson, der deutlich mitgenommener aussah als sein Kollege Prandelli. „Unser Plan war es gewesen, dass jeder sein Möglichstes gibt, und wir haben einige gute Sachen gezeigt. Am Ende haben die Tore gefehlt.“ Er könne seinem Team keine Vorwürfe machen, keiner seiner Spieler habe ihn hängen lassen.

    Hier liegt nahe, dass die englische Mannschaft in einem früheren Leben als Besatzung eines Wikingerschiffes eine Reihe unzulässiger Plünderungen durchgeführt hat. Als unmittelbare Konsequenz ist es der englischen Nationalmannschaft in den darauffolgenden siebenunddreissig Weltzeitaltern nun quasi unmöglich, die Weltfußballtrophäe zu erringen, alle Mühe ist am Ende vergebens, siehe oben.

    Allerdings kann es auch ganz anders sein. Die Karmawirkung ist letztlich sich verwickelt und sehr schwer zu durchschauen, selbst für Fachleute:

    „Somit, Ānanda, gibt es Handlung, die nicht imstande ist, zu guten Ergebnissen zu führen, und die nicht imstande zu sein scheint; es gibt Handlung, die nicht imstande ist, zu guten Ergebnissen zu führen, und die imstande zu sein scheint; es gibt Handlung, die imstande ist, zu guten Ergebnissen zu führen, und die imstande zu sein scheint; und es gibt Handlung, die imstande ist, zu guten Ergebnissen zu führen, und die nicht imstande zu sein scheint [5].“

    (Majjhima Nikāya 136: Die längere Darlegung zu den Handlungen – Mahākammavibhaṅga Sutta)

    • ausdertiefedesraumes 16. Juni 2014 10:35

      War das nicht andersrum? Die Nordmänner schiffen sich in Engelland ein und verkloppen die Angeln und Sachsen nach allen Regeln der Wikingerkunst (oder kamen die Sachsen später). Ist es nicht viel mehr das eigene Mantra vom „Mutterland des Fußballs“, in dem die sich seit Urzeiten verheddern. Genauso wie sie immer noch glauben (Ssitti off) Landen, sei das Zentrum der Welt. Dabei können die nicht mal vernünftig Rechtschreibung!

      • Alaska 16. Juni 2014 12:26

        Es war doch so: Ein Wikingerschiff strandete nach monatelanger Seenot auf der Nordsee an der englische Küste. Die Angeln empfingen die Besatzung, die keine Gegenwehr mehr leistete, am Strand und zwangen sie, sich ihrer Kleidung zu entledigen. Dann überliessen die Angeln ihren Frauen die nackerten Wikinger, zogen deren Klamotten an und segelten als Wikinger getarnt die Atlantikküste hinunter, plündernd und brandschatzend.

        Hierbei wird deutlich, dass Karmalogie kein Handwerk für phantasiereiche Spinner ist, sondern nur Fachleuten mit augebildeten Meditationsfähigkeiten vorbehalten bleiben darf:

        „Ihr Bhikkhus, jemand, der die Achtsamkeit auf den Körper entfaltet und geübt hat, trägt in sich, was immer es an heilsamen Zuständen gibt, die an wahrem Wissen Anteil haben [2]. Genauso wie jemand, der sein Herz über den großen Ozean ausgedehnt hat, in sich trägt, was immer es an Flüssen gibt, die in den Ozean fließen; so trägt auch jemand, der die Achtsamkeit auf den Körper entfaltet und geübt hat, in sich, was immer es an heilsamen Zuständen gibt, die an wahrem Wissen Anteil haben.“

        „Ihr Bhikkhus, wenn die Achtsamkeit auf den Körper immer wieder gepflegt, entfaltet, geübt, als Fahrzeug verwendet, als Grundlage benutzt, verankert, gefestigt und gut ausgeübt worden ist, können diese zehn Vorteile davon erwartet werden. Welche zehn?“

        … (IX) „Man sieht mit dem Himmlischen Auge, das geläutert und dem menschlichen überlegen ist, die Wesen sterben und wiedererscheinen, niedrige und hohe, schöne und häßliche, in Glück und Elend, und man versteht, wie die Wesen ihren Handlungen gemäß weiterwandern.“

        (Majjhima Nikāya 119: Achtsamkeit auf den Körper – Kāyagatāsati Sutta)

        • ausdertiefedesraumes 16. Juni 2014 14:37

          Ne, ne, Karma hin Karma her, so war datt nich`.

    • Halbmast 16. Juni 2014 15:02

      Ich seh das so: die Engländer haben kein Problem mit dem Karma, sondern mit dem Ball. Das ist noch schlimmer.

  6. Alaska 15. Juni 2014 20:03

    Wobei den Fachleuten selbstverständlich schon vor 2500 Jahren klar war, dass Standesdünkel niemals Lebensleistung ersetzen kann:

    Nun hielt sich bei jener Gelegenheit ein brahmanischer Student namens Assalāyana bei Sāvatthī auf. Jung, mit rasiertem Kopf, sechzehnjährig war er ein Meister der drei Veden mit ihrem Wortschatz, der Liturgie, Klanglehre und Abstammungslehre, und der Überlieferungsgeschichte als fünftem; gebildet in Sprachkunde und Grammatik, war er vollkommen in Naturphilosophie und den Merkmalen eines Großen Mannes bewandert. Da dachten die Brahmanen: „Da hält sich dieser junge brahmanischer Student namens Assalāyana bei Sāvatthī auf. Jung, mit rasiertem Kopf, sechzehnjährig ist er ein Meister der drei Veden mit ihrem Wortschatz, der Liturgie, Klanglehre und Abstammungslehre, und der Überlieferungsgeschichte als fünftem; gebildet in Sprachkunde und Grammatik, ist er vollkommen in Naturphilosophie und den Merkmalen eines Großen Mannes bewandert. Er wird in der Lage sein, mit dem Mönch Gotama ein Streitgespräch über diese Behauptung zu führen.“

    „Was meinst du, Assalāyana? Angenommen, ein Brahmane würde sich davon enthalten, Lebewesen zu töten, zu nehmen, was nicht gegeben wurde, Fehlverhalten bei Sinnesvergnügen zu üben, falsche Rede zu führen, gehässige Rede zu führen, grobe Rede zu führen, zu schwätzen, und er wäre nicht habgierig, hätte einen Geist ohne Übelwollen, und hegte richtige Ansicht. Würde nur er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, an einem glücklichen Bestimmungsort wiedererscheinen, ja sogar in der himmlischen Welt, und ein Adeliger, Händler oder Arbeiter nicht?“

    „Nein, Meister Gotama. Sei es ein Adeliger oder ein Brahmane oder ein Händler oder ein Arbeiter – jene aus allen vier Kasten, die sich davon enthalten, Lebewesen zu töten, zu nehmen, was nicht gegeben wurde, Fehlverhalten in Sinnesvergnügen zu üben, falsche Rede zu führen, gehässige Rede zu führen, grobe Rede zu führen, zu schwätzen, und die nicht habgierig sind, einen Geist ohne Übelwollen haben, und richtige Ansicht hegen, werden bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode an einem glücklichen Bestimmungsort wiedererscheinen, ja sogar in der himmlischen Welt.“

    „Welches Argument stärkt dann den Brahmanen den Rücken, oder welche Autorität gibt ihnen Recht, wenn sie sagen: ‚Brahmanen sind die höchste Kaste, die Angehörigen anderer Kasten sind von niedrigerem Stand; Brahmanen sind die hellhäutigste Kaste, die Angehörigen anderer Kasten sind dunkel; nur Brahmanen sind rein, Nicht-Brahmanen sind es nicht; allein die Brahmanen sind die Söhne von Brahmā, die Abkömmlinge von Brahmā, aus seinem Mund geboren, von Brahmā geboren, von Brahmā erschaffen, Erben von Brahmā ‚?“

    (Majjhima Nikāya 93: An Assalāyana – Assalāyana Sutta)

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