Brief an den Kater

Lieber Jules,

wenn du diese Zeilen liest, wirst du dich fragen, was eigentlich los ist. Gute Frage, Jules, was ist eigentlich los? Nun, ich werde es dir verraten.

Du befindest dich in genau diesem Augenblick in einem Karton, einem dunklen, ruckelnden Karton. Sollte der Karton übrigens feucht sein, dann ist dir wohl ein Malheur passiert, als ich dich da gestern reingesteckt habe, war er jedenfalls noch trocken. Aber egal. Du befindest dich in einem Karton und du bist auf dem Weg in deine neue Heimat. Ein schönes rumänisches Tierheim habe ich für dich ausgesucht, da kommste jetzt hin, mein Lieber.

Klage nicht, mein Kater, es hätte auch schlimmer kommen können. Wie oft lag ich frühmorgens in meinem Bett und wie oft promenierten weniger katzenfreundliche Lösungen vor meinem inneren Auge! Solltest du dich fragen, was du falsch gemacht hast (ich bezweifle, daβ du das tust) gebe ich dir gerne einen Hinweis:

Erinnerst du dich an meine flehentlichen Bitten, nicht ständig und unentwegt und immer und immer um 6 Uhr, in aller Herrgottsfrühe, vor meiner Schlafzimmertür zu miauen als hätte man dir einen Schaschlikspieβ in deinen gottverdammten Katerarsch gerammt? Erinnerst du dich daran?

Nein, du erinnerst dich natürlich nicht daran. Weil du nämlich deine Lauscher prinzipiell immer auf Durchzug gestellt hast, wenn es um etwas anders als Mäuserascheln ging. Oder um das Öffnen der Futterdose.

Und nun bin ich einfach am Ende mit meinen Kräften! Ich kann nicht mehr. Verstehst du, Jules, eine Beziehung, in der die Partner sich nicht mehr zuhören, kann einfach nicht funktionieren! Das kannst Du in jedem Fachbuch nachlesen. Ist so.

Sei nicht traurig, nimm deine neue Situation als Herausforderung, an der du persönlich wachsen kannst. Und wer weiβ, vielleicht bleibst du nicht lange allein in Rumänien. Wenn dein Frauchen weiterhin mittwochs das Fernsehprogramm bestimmen will, schicke ich sie Dir demnächst einfach hinterher!

Alles Gute,
dein Halbmast

4 comments on “Brief an den Kater

  1. Uffi 17. März 2014 20:01

    Darüber kann ich nicht lachen, zu groß die Furcht, dass das kein Scherz ist.

    • Halbmast 21. März 2014 13:16

      Genau, die Zeit des Scherzens ist vorbei, die Zeit des Handelns ist gekommen.

  2. scarlet 19. März 2014 12:05

    Aktuell, heute Mittwoch (!) läuft auf Transilvania Live (Rumänisches Fernsehen) eine sehr nette Tiersendung mit Schafen, Hunden und betroffenen Journalisten. Vielleicht wäre das sogar eine Option fürs Frauchen? Oder gar für den Kater? Ich würde da selbstkritisch drüber nachdenken. Und rumänisches Essen ist auch sehr lecker…

    • Halbmast 21. März 2014 13:22

      Selbstkritisch „nachdenken“? Ich? Wozu?

      Wenn jemand Grund zur Selbstkritik hat, dann der Kater. Der sollte sich mal Gedanken über seine völlige Nutzlosigkeit machen! Und darüber, ob Nutzlosigkeit einen hinreichenden Existenzberechtigungsgrund darstellt.

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