Alter Text, alter Freund

Derzeit bereite ich die Dateien auf meiner Festplatte auf einen SSD-Exodus vor. Ich sichte das Material, durchforste die Ordner, lösche Überflüssiges, sichere Wichtiges, etc. Eine ennuyierende Arbeit, schlimm wieviel Datenmüll sich in all den Jahren angesammelt hat.

Die Photos sind die Hölle! Verflucht seien die Digicams! Trillionen Bilder, die kein Schwein jemals wieder gucken wird. Allein der Ordner Emmanuelle unter der Dusche umfasst 2731 Photos. Der Order Zahnlückenbilder (Kinder) 935, Omas 75ter 405, Umgekippte Weihnachtsbäume 831!

Aber es gibt auch erfreuliche Fundstücke auf der Festplatte. Gerade eben habe ich ein ururaltes Word-Doc namens Blitze entdeckt. Es ist ein Text über einen guten, alten Freund, der wahrscheinlich aus dem Jahr 1987 stammt. Dass Original muss noch auf Schreibmaschine geschrieben worden sein, irgendwann habe ich den Text dann transskribiert – wann, weiß ich nicht mehr.

Auf jeden Fall hab‘ ich mich amüsiert, den Text wieder zu lesen. Und weil ich mich amüsiert habe, stelle ich den Text hier rein. Einige werden wissen, wer gemeint ist, andere nicht- aber mein guter, alter Freund weiß es sicher. Und ich hoffe, dass auch er sich amüsiert: Erkennst du dich wieder nach all‘ den Jahren?

 

Blitze

Äääh, den Entschluß zu verreisen fasste ich ganz unerwartet plötzlich, morgens früh. Götzmann vom Tiefbauamt hat mich darin nur bestärkt. Wie und Warum, weiß er selber nicht und ich schon mal gar nicht. Wie üblich, kriege ich die ganze Scheiße eh‘ nicht aufgedröselt. Wie gesagt, Götzmann vom Hochbauamt war während unseres Gesprächs eingeschlafen, als mir brühwürstchenwarm einfiel, unsere entfernten Verwandten in der Zone zu besuchen.

Ich redete weiter auf Götzmann ein, war aber dabei mit meinen Gedanken schon im Ostblock. Wesentlicher Faktor, daß ich meine Reisepläne dann doch verwarf, war, daß Kollege Wirtz überraschend das Labor betrat und augenblicklich wieder durch die Tür verschwand.
Vor der Kantine konnte ich ihn abfangen. Wirtz machte einen abgespannten Eindruck. Zur Aufmunterung schenkte ich ihm das alte Branchen-Telefonbuch, die gelben Seiten, welches ich rein zufällig dabei hatte.
Plötzlich peitschte es mir durch den Kopf: ich hatte vergessen Götzmann zu wecken, der ja bekanntlich während unser sein Gespräch eingepennt war.

Als ich wieder zu meiner Gelassenheit finden tat, war Wirtz wie vom Parkett verschluckt. Ich wartete noch ungefähr eine 3/4 Stunde ob Wirtz eventuell zurückkäme, stattdessen rempelte mich der Hausmeister an. Irgendwie erinnerte mich der Bursche an Mendels. Bevor ich herausfand warum, hatte es auch schon Feierabend geschlagen. Leck mich am Sack, schon wieder ein Arbeitstag vorbei!

Auf der Nachhausefahrt fiel bei mir dann langsam der Groschen: vor cirka 3 Wochen hatte ich den Hausmeister mit nagelneuen Blitzableitern durch die Gänge schleichen sehen. Damals hatte ich eine vage Assoziation. Diese wiederum verdeutlichte sich 10 Tage später während einer Unterhaltung mit dem völlig übermüdeten Chefarzt. Über die Blitzableiter hatte ich gedanklich die Brücke zu Mendels geschlagen quasi. Mendels hatten nämlich Jahrzehnte zuvor in der Blitzableiter-Branche mit spektakulären Selbstversuchen und gesundem Unternehmergeist für Aufsehen gesorgt.

Auf jedenfall rief also der Zusammenprall mit dem Hausmeister nicht nur das Gespräch mit dem schnarchenden Chefarzt, sondern auch die Erinnerung an die Blitzableiter, sowie die Blitzableiter selber in mein Gedächtnis.

Kurz vor Sindorf geriet ich dann schlagartig in einen Stau, was ich aus einem Blick in den Rückspiegel schloß. Zum Glück war ich der erste Wagen in der Schlange und konnte so die Fahrt nach zweieinhalb Stunden wieder aufnehmen.

Als ich schließlich das Ortsschild erblickte hatte ich ein starkes Deja-vu Erlebnis. Gleichzeitig beschloß ich für ein paar Tage zu vereisen. Der Chef hatte mir ja erst kürzlich angeboten, mir ein paar Tage von seinem Urlaub abzutreten. Die Frage war nur: wohin sollte ich fahren?
Erstmal ging die Reise ab nach Hause. Mein Magen meldete sich nämlich so lautstark, daß der Autositz vibrierte.
Ob ich Daheim erst den Fernseher anstellte und dann die Schweinshaxen aß, oder umgekehrt, und ob mir erst schlecht wurde und ich dann die Toilette aufsuchte, oder ob mir erst auf der Toilette schlecht wurde, daß alles weiß ich beim besten Willen nicht mehr.
Sicher ist lediglich ,daß ich auf dem Weg zurück vom Klo zum Kühlschrank
bzw. Fernsehsessel den Entschluß faßte unsere entfernten Verwandten in Rumänien zu besuchen. Es ist überhaupt ein großes Wunder das ich selber nicht auch ein halber Rumäne bin.

 Wie dem auch sei; Ich vernahm sturzplötzlich zwei krachende Geräusche hintereinander. Die erste Detonation erschütterte meinen Hosenboden während die zweite eindeutig aus dem „Arbeitszimmer“ kam. Schnell eilte ich dorthin und sah mir die Bescherung an. Aus dem Bücherbord war ein Stapel Prospekte gekippt. Dieser ungewöhnliche Vorfall erstaunte mich nicht wenig, wenngleich er nicht der erste seiner Art war.

Vor vier Monaten war schon einmal ein Broschürenstapel – allerdings ein anderer – vom Regal gefallen.

Abrupt wurde in mir eine Stimme laut: Wie wäre es, dachte ich so bei mir, wenn du verrücktes Huhn zu deinen Verwandten nach Hamburg fährst? Diese spontane Idee sollte am nächsten Tag in die Tat umgesetzt werden…

Ich hatte eine unruhige Nacht, und mein Kopf rollte von einem Ohr zum anderen. Na ja, morgens fuhr ich dann los.

 Über die A61 bis zum Koblenzer Kreuz (wo die A48 meinen Weg kreutzte, wovon ich mich aber nicht irritieren ließ) und weiter bis zum Hockenheimer Kreuz lief alles wie am Schnürchen. Aber kaum war ich auf der A6 passierten merkwürdige Dinge.

In einem überholendem BMW mit Kölner Kennzeichen sah ich hinter beschlagenen Fensterscheiben Götzmann, Wirtz und den Chefarzt, sowie Schippert von der Notaufnahme, Lüllen von der Verwaltung, die Schwestern Herta und Karin, als auch die Kollegen Frings, Röhrendanz und Binzenbach sitzen. Genaugenommen saß die halbe Uni-Kllinik in dem BMW, offensichtlich auf der Flucht.Eine besonders harte Nuß aber hatte ich auf der A8 kurz hinter Karlsruhe zu knacken. Ohne Vorwarnung war ich in einen Stau geraten. Was starrte mich die vierköpfige Familie im Opel Ascona von der Nebenspur so unverschämt an? Leicht verdrossen löste ich den Stau nach einer halben Stunde wieder auf. Ich fuhr zügig bis Basel weiter, und kehrte auf dem Rückweg nach Karlsruhe in eine Raststätte ein.

 Es war mittlerweile 20 Uhr; Zeit zu tanken.

 Der Rest ist Geschichte. Über die A81 erreichte ich schließlich den Bodensee. Die Rückfahrt nach Sindorf verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle. Ich war wieder daheim. Wo hatte ich eigentlich die Fernbedienung hingelegt?

2 comments on “Alter Text, alter Freund

  1. 123 4. Dezember 2013 20:00

    Wie schön, da platzen doch einige Erinnerungen an Siiindooorf auf, erstaunlich ist natürlich auch die Wucht, mit der der Drang in die Welt verfolgt wird.
    Ein sehr anschaulicher Text, leider hat er mir zu keiner Zeit vorgelegen, wo wäre Sindorf heute, wenn nicht woanders.
    Erstaunlich, erstaunlich

  2. Halbmast 4. Dezember 2013 20:19

    Dem einen sein Sindorf, dem anderen sein Düren: manche Schicksale verheilen nie. ; )

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