Mauerfall

Deinen herrschenden Gedanken will ich hören und nicht, dass du einem Joch entronnen bist.

 

Wenn ich damals, im November 89, geahnt hätte – auch nur ansatzweise geahnt hätte -, dass 25 Jahre später die Frage Und wo warst du als die Mauer fiel? zum gefühligen Volkssport avancieren würde, dann wäre ich seinerzeit ganz zweifellos sofort zu einer Großwildjagd nach Ostafrika oder aber zum Dynamitfischen an den Klondike aufgebrochen. Rechtzeitig jedenfalls, bevor hierzulande die Massenhysterie entbrennen sollte. Auch hätte ich dann heute eine deppenplausible Erklärung dafür, warum ich eigentlich nichts mitbekommen habe damals, am 9. November. Denn genau das habe ich: fast nichts mitbekommen.

Ich erinnere mich nur noch düster, das ich Zuhause war, einfach nur Zuhause – kein Gnu vor meiner Kimme, kein Lachs, der flußabwärts trieb! – und die Meldungen von Tagesschau zu Tagesschau beängstigender und deprimierender wurden! Irgendwann dann sah ich die Bilder: abertausende DDR-Bürger, die ins Licht strömten, Menschen mit fürchterlichen Frisuren und grauenhaften Klamotten und verständlichen Hoffnungen. Wer edlen Gemüts war, musste sich da freuen! Wenn es um Die-Da-Drüben ging, dann war seit jeher Betroffenheit Teil der bundesrepublikanischen Staaatsräson, jetzt kam knallplötzlich auch noch helle Freude hinzu. Ich aber freute mich keineswegs, denn ich erkannte sofort die machtstrategische Wirklichkeit. Jahrzehntelang war der Ostblock bemüht, die “freie” Welt von der Freiheit zu befreien, militärische oder ökonomische Optionen dazu hatten sie nicht mehr, also versuchten sie es schließlich mit psychologischer Kriegsführung. Sie öffneten die Grenze!

Erfahrungen mit der kulturellen Destabilisierung des Westens hatten sie ja schon 1976 gesammelt, als sie einen komplett infantilen, wirrköpfigen und talentfreien Protestklampfer ausbürgerten, der hier dann entsprechend der ideologischen Mechanik jener Tage prompt zu einem ernstzunehmenden Künstler und Oppositionellem erklärt werden musste! Womit sich das hiesige System der Lächerlichkeit preisgab und genau dies war ja auch Zweck der Übung. Man konnte den Typen im Politbüro einen gewissen Sinn für Humor nicht absprechen!

Und dann 89 eine ähnliche Strategie, nur noch subversiver, noch perfider und in einem ganz anderen Maßstab. Diesmal überließ man dem Westen gleich ein ganzes Land inklusive Bevölkerung, sollte der Westen doch zusehn, wie er mit der DDR fertig würde! Viel Vergnügen auch!

Natürlich machten ich mir Sorgen wegen denen von Da-Drüben, vor allem deshalb, weil meine Frau schwanger war damals und wir nicht wussten, ob DIE es mit ihren Trabis bis ganz zu uns nach Westdeutschland schaffen würden! Vorerst fühlten wir uns sicher, aber es war klar, früher oder später würden DIE auch bis ins Rheinland vordringen! Und dann? Welche Zukunft erwartete meine zukünftige Erstgeborene? Eine mit denen von Drüben?

All das ging mir durch den Kopf, als im Fernseher mit Deutschlandfahnen gefuchtelt wurde und Pullen Rotkäppchen-Brause geköpft wurden. Und ich dachte, dass es das wohl war mit der sozialen Marktwirtschaft und vielleicht sogar mit der Zivilisation. Gefreut habe ich mich nicht, so nett war ich nicht und auch nicht so naiv. Aber Genaues erinnere ich nicht. Das muss Verdrängung sein.

One comment on “Mauerfall

  1. Alaska 10. November 2014 14:00

    Ich kann mich gar nicht erinnern. Hatte gerade in Hildesheim mit studieren angefangen und ganz andere Sorgen, als mich für diese ungewaschenen Ossis zu freuen.

    Am Sonntag war ich dann in Lübeck bei meinen Eltern und eine Ex-Schulfreundin (wir hatten Jahre zuvor einmal gemeinsamen Sex erwogen, nachdem ich im Anschluss an eine Party bequemerweise bei ihr in der Stadt übernachtet hatte, wir hatten es dann bleiben gelassen und seitdem war sie recht anhänglich und schrieb mir noch bis zu meiner Hochzeit Briefe…)

    Jedenfalls mit ihr und der Ente 2CV ihrer Eltern bin ich dann bei Eichholz über die frisch geöffnete Grenze nach Meckpomm eingereist, um meinen Frisbee abzuholen, den ich Jahre zuvor auf dem Priwall über die Grenze geschleudert hatte.

    Es war ein nebelgrauer November Nachmittag und wir tasteten uns auf einer Kopf Steinstraße ohne Begrenzungen vorwärts wie einst Jim Knopf mit Emma im Donnergebirge. Ploetzlich tauchte vor uns eine rote Armee Militär Kolonne mit grimmig dreinblickenden schlitzaeugigen Soldaten auf den Ladeflaechen der LKWs auf, Kalaschnikow s in den Händen. So wie jetzt in Donezk.

    wir konnten sie abschütteln und ueber Wismar nach Schwerin durchbrechen, wo es erbärmlich nach Braunkohle Dampf stank und die Frauen weisse Kunstleder Stiefel mit Kunstpelzkragen tragen mussten.

    heil kehrten wir in den Westen zurück, in den Wochen darauf erfolgte ja bekanntlich die Invasion, Tributzahlungen (Soli), leergeraeumte Autohäuser, Spreegurken usw.

    Inzwischen hat man sich halbwegs arrangiert.

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