Bewusstsein

Urknall und Bewusstsein

Es gibt Theorien, die sind von einer solchen gedanklichen Anmut, dass man sie gar nicht einer schnöden Wahrheits- oder Plausibilitätsprüfung unterziehen will. Ob sie wahr oder falsch sind, spielt keine große Rolle. Dass es wenig gibt, was für sie spricht, ebenso.  Wenn diese Theorien logisch konsistent sind, reicht das schon aus, um sie lieben zu wollen. Ein schönes Beispiel dafür ist ein Gedankengang des englischen Philosophen Collin McGinn, den ich hier kurz präsentieren möchte. (Metaphysik-Fans zur Warnung: Ihr kommt bei McGinn nicht auf eure Kosten. Wenn es den Anschein hat, dann nur, weil ich ihn hier verkürzt zitiere, bzw. weil ihr nicht feste genug nachdenkt.)

McGinn beginnt mit dem klassischen kartesianischen Problem: „Wenn Bewußtsein nicht konstitutiv räumlich ist, wie kann es dann seinen Ursprung in der räumlichen Welt haben?“

Man beachte, daß es zu diesem Problem keine Parallele in der Evolution der Lebensformen per se gibt. Diese sind zwar tatsächlich kosmische Neuheiten, aber sie transzendieren nicht wesentlich die Mechanismen räumlicher Aggregation und wir verfügen über eine gute Theorie darüber, wie die Neuheit hervorgebracht wird. Es gibt kein Raum-Problem bei der Erklärung der Entstehung von Organismen als solchen; dies Problem tritt erst auf, wenn bewußte Zustände ins Spiel kommen. Um es in Decartes‘ Vokabular auszudrücken: Wie kann sich etwas, dessen Wesen es ist, nicht-räumlich zu sein, aus etwas entwickeln, dessen Wesen es ist, räumlich zu sein? […]

Man beachte auch, daß dieses Problem keine Parallele in der Relation zwischen dem Abstrakten und dem Physikalischen hat, da das Abstrakte, wenn es auch nicht-räumlich ist, doch nicht aus dem Materiellen hervorgegangen sein soll. […]“

Soweit alles klar? Dann aufgepasst, jetzt kommt’s, Freunde! Jetzt wird es wild-schön. Festschnallen und Staunen!

An dieser Stelle könnten wir uns an den Big Bang erinnert fühlen. Jenes bemerkenswerte Ereignis kann man als ein inversives Raum-Problem stellend auffassen: Denn nach der allgemeinen Ansicht begann der Raum selbst im Moment des Big Bang zu existieren, während es vorher nichts Räumliches gab. Aber wie kann raum aus Nicht-Raum entstehen? Welche Art von ‚Explosion‘ könnte Raum ab inition schaffen? Dieses Problem lässt eine noch engere Parallele zu dem Problem des Bewußstseins erkennen, wenn wir – wie ich es als plausibel auffassen würde – annehmen, daß der Big Bang nicht der Anfang (zeitlich oder explanatorisch) aller Existenz ist. Irgendein vorangegangener, unabhängiger Zustand der Dinge muß zu jenem frühen Kataklysmus geführt haben und für diese Folge von Ereignissen muß es eine intelligible Erklärung geben – geradeso wie es eine Erklärung für die Folge geben muß, die von Materie-in-Raum zu Bewußtsein führt. Das Gehirn kehrt sozusagen um, was der Big Bang eingeleitet hat: Es macht die Hervorbringung von Raum zunichte, indem es Materie verschlingt und Bewußtsein ausspuckt. Wenn man es sehr langfristig betrachtet, hat das Universum auf diese Weise Phasen der Raum-Hervorbringung und der (lokalen) Raum-Vernichtung durchlaufen. Oder – was das letztere betrifft – es hat zumindest Operationen in bezug auf Raum gegeben,, die eine nicht-räumliche Form des Seins hervorgebracht haben. Dies legt die folgende kühne Spekultion nahe:

Der Ursprung des Bewußtseins bedient sich irgendwie jener Eigenschaften des Universums, die dem Ereignis des Big Bang vorausgegangen sind und ihn erklären. Wenn wir eine vorräumliche Realitätsebene benötigen, um den Big Bang zu erklären, dann könnte es eben diese Ebene sein, die für die Hervorbringung von Bewußtsein ausgenutzt wird. D.h. wenn man voraussetzt, daß die Überreste des Vor-Big-Bang-Universums fortgedauert haben, könnte es sein, daß diese Eigenschaften des Universums irgendwie an der Konstruktion des nicht-räumlichen Phänomens des bewußtseins beteiligt sind. Falls dem so ist, würde sich das Bewußtsein als älter denn Materie im Raum herausstellen, zumindest was sein Rohmaterial betrifft.“

Leute, sagt jetzt nichts, haltet bloß die Klappe! Ich weiß selber, dass McGinns Argumentation nicht stimmig ist. Ich weiß, dass sich jedem Physiker, der das liest die Fußnägel aufrollen und ich weiß, dass Ähnlichkeitsbeziehungen und Kausalbeziehungen zwei völlig verschiede Dinge sind. Und vieles mehr weiß ich.

Aber das kümmert mich nicht. Mir ist es Wurst, was kleinpimmelige Spielverderber zu mäkeln haben. Der Gedankengang von Mister Mcginn ist freaky und cool und irgendwo da drin – tief drin – steckt was. Was Wahres drin. Und außerdem: Der Typ nennt allen Erstes den Big Bang ein „bemerkenswertes Ereignis“! Ein BEMERKENSWERTES EREIGNIS!!! Hat man jemals ein lässigeres Understatement gelesen?

 

(Colin McGinn, Bewußtsein und Raum (S.189-190)  in: Thomas Metzinger (Hrsg.), Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie, Paderborn, München, Wien und Zürich, 1996)