Alaska: Als ich ein Kind war…

Du meine Güte. Ihr habt ja Horrorvisionen als Kinder gehabt.

Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich noch nicht lesen konnte, aber schon regelmäßig in Comics blätterte. Damals konnte ich mir ums verrecken nicht vorstellen, wie das mit dem Lesen überhaupt funktionieren sollte: Es gibt so so unendliche viele Themen, Ideen, Geschichten und so weiter und dementsprechend müsste es auch unendlich viele Sätze, Wörter, Buchstaben und so weiter geben und um die alle zu lernen müsste man ja unendlich lange in die Schule gehen, was offenbar nicht der Fall war. Ich war gespannt, wie weit ich mit dem kommen würde, was wir in der ersten Klasse lernen würden.

Es genügte jedenfalls, dass ich meine Comics endlich allein lesen konnte. Mein Favorit war Silberpfeil. Ein Heft umfasste 32 Seiten, das war enorm lang. Am Ende jeden Heftes gab es einen Ausblick auf das nächste Heft. Eine Woche Wartezeit war aber schier unendlich, eine unerträgliche Folter. Oft lag ich nach dem Durchschmökern eines Heftes erschöpft auf dem Sofa und doch geisterten meine Gedanken schon um die nächste Ausgabe: Was zum Teufel würde da alles passieren? Sollte ich den Verlag anschreiben und um eine Stellungnahme bitten? Oder wenigsten mal anrufen? Oder meinen Vater fragen, ob er da mal anrufen kann?

Eines Tages – wie so oft auf dem Sofa – kam mir die zündende Idee! Ich müsste nur mit einer besonders scharfen Rasierklinge die letzte Seite des Heftes von der Seite her aufschlitzen, dann würde ich unter dem abgebildeten Cover des kommenden Heftes die nächsten Seiten entblättern können, die da ja auch schlummern müssten. Und – welch Glücksgefühl! – auf der letzten dieser Miniaturseiten würde dann ja das Cover des übernächsten Heftes abgebildet sein, noch kleiner, aber mit einer Lupe könnte man das sicher auch lesen und mit einer noch feineren Rasierklinge dann das nächste Heft entblättern und so weiter.

Die gesamte Zukunft der Silberpfeil-Heftserie lag also bereits in dieser einen Ausgabe vor mir, in einer millimeterdünnen letzten Seite verborgen. Und ich könnte umgehend herausfinden, ob Falk oder Silberpfeil am Ende der letzten Folge sterben und meine Eltern könnten eine enorme Summe Geld sparen, weil sie keine neuen Hefte mehr kaufen müssten.

Hätte meine Mutter nur die Rasierklinge herausgerückt.

 

©Alaska

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