Dschungelporno, 8. Staffel

Mit den Unterhaltungsformaten verhält es sich wie mit den Lichtenberg’schen Büchern: Wenn ein Affe hinein guckt, kann freilich kein Apostel heraus sehen. So ist es nicht verwunderlich, wenn die üblichen Kultur-Gouvernanten meine aktuelle Lieblingsserie Ich bin ein Star – holt mich hier raus! für den Untergang des Abendlandes halten. Nein, das ist nicht verwunderlich, sondern absolut unvermeidlich. Siehe Lichtenberg.

Ich habe wenig Lust zu recherchieren, deshalb verlinke ich hier einen nicht mehr ganz taufrischen STERN-Artikel, der einige der empörten Reaktionen anlässlich der Ausstrahlung der 1. Staffel zitiert. Man gewinnt bei der Lektüre rasch den Eindruck, als hätte es damals (Januar 2004) irgendeinen Wettbewerb zum „Hysteriker des Monats“ gegeben, vielleicht waren seinerzeit auch nur die Barbiturate knapp – es muss jedenfalls eine Grund gegeben haben für die Aufregung. Dummheit alleine kann es nicht gewesen sein. Aber was denn?

Eins ist schon mal klar: wenn irgendwo irgendwas passiert, dann müssen Fragen des Tierschutzes kritisch geprüft werden. „Wir müssen sehen, ob hier nicht erheblich gegen den Tierschutz verstoßen wird.“ Ich weiß nicht, ob sich unsere Brüder und Schwestern Kakerlake und Mehlwurm wirklich gefreut haben, als Renate Künast für sie Partei ergriff, aber ich weiß, dass formale Denkfehler einer guten Sache selten nützen: „Vielleicht werden demnächst sogar von Moderatoren Straftaten in Fernseh-Shows gefordert, um damit Quote zu machen.“ Wiederum Künast. Wo da der Kausalnexus zum Dschungelcamp ist, wird wohl für immer in den Untiefen des Synapsoriums unserer Ex-Ministerin verborgen bleiben und das ist wahrscheinlich auch besser so.

Wenn es darum geht, sich moralisch zu echauffieren, lässt sich eine waschechte CSU-Ministerin selbstverständlich nichts von einer Grünen vormachen. „Die bayerische Familienministerin Christa Stewens rief die RTL-Verantwortlichen auf, die Sendung umgehend abzusetzen. Sie rügte die Überlebens-Show als „schamlose Kommerzialisierung des Werteverfalls“ und „gefährlichen Dammbruch im deutschen Privatfernsehen“. Das in der Serie propagierte Menschenbild sei zynisch und menschenverachtend.

Und weiter: „Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken, nannte die Sendung einen „Tiefpunkt der Fernsehunterhaltung“. Das Sendeformat „kann nur als voyeuristische Perversion bezeichnet werden“, die die Ekelgrenze überschreite und „bewusst Menschen zur Lachnummer der Öffentlichkeit macht“. Die hohen Einschaltquoten seien kein Freibrief für Geschmacklosigkeit. Die freiwillige Teilnahme mehr oder weniger bekannter Prominenter sei kein Freifahrschein dafür, dass intime Gespräche ohne Wissen der Beteiligten gesendet würden. Hier werde eklatant das Persönlichkeitsrecht verletzt, meinte Konken.“

Und tiefer: „Der in Zürich dozierende Psychologe Mario Gmür bezeichnete die Show als „konstruiert-artifiziell, eine hausbackene Urwald-Folterkammer, eine Geisterbahn“, wie er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sagte. „Hier geht es um eine Instrumentalisierung des Menschen für ein dramaturgisches Konzept in der Öffentlichkeit. Die Zuschauer wollen bei der Geburt und Hinrichtung von Helden dabei sein.“ Jo Groebel, Generaldirektor des Europäischen Medieninstituts sprach in der „Bild“-Zeitung von „Methoden, die an Folter erinnern„.

Und noch einmal: zynisch, menschenverachtend, tiergefährdend, Kommerzialisierung, Werteverfall, Geschmacklosigkeit, Folterkammer, Instrumentalisierung, voyeuristische Perversion, Hinrichtung. Schlimm, in welcher Welt anständige Bürger gezwungen sind zu leben!

Was steckt nun hinter dem Hohldrehen unserer Eliten? Angst? Wovor? Was ist so bedrohlich an meinem abendlichen Fernsehvergnügen, was daran verletzt so sehr den bürgerlichen Narzissmus?

Zunächst steckt nicht mehr hinter der Dschungel-Aversion als der Wunsch nach sozialer Abgrenzung. Geschmacksurteile – insbesondere die radikalen Geschmacksurteile mit denen wir es hier zu tun haben – dienen ja keineswegs der Steigerung des ästhetischen Vergnügens, gescheige denn dem Erkenntnisgewinn, sondern vor allem der sozialen Distinktion. Diejenigen, die eine Unterscheidung von „hoher“ Kultur und „minderwertiger“ Kultur apostrophieren, können in der Regel eine solche Unterscheidung inhaltlich nicht unfallfrei begründen. Und wie sollten sie auch. Ich bin ein Star – holt mich hier raus! ist eine handwerklich untadelige Produktion und bietet inhaltlich genau das, was allenthalben als Qualitätskriterium der gepflegten Unterhaltung gehandelt wird: Ich bin ein Star – holt mich hier raus! weist nämlich auf gleich zwei Ebenen widerstreitende Selbstreflektion auf. Sowohl auf der Figurenebene, auf der sich die Kandidaten ausdauernd zu den Beweggründen, den wahren, den vermeintlichen und den mutmaßlichen Beweggründen ihrer Teilnahme äußern und auf der sie zuweilen recht nüchtern ihren Status als B-Prominente thematisieren und auf der Kommentatoren-Ebene, die diesen Diskurs ironisch aufgreift und in Relation zur öffentlichen Wahrnehmung stellt, so dass Privates als bloß Pseudo-Privates erscheint. Wer mehr Aufklärungspotenzial von einer Unterhaltungssendung fordert, plädiert für direkte Hirnchirugie!

Reden wir vom vornehmen Geschmacksurteil als Mittel der sozialen Abgrenzung, dann reden wir auch von Angst. Und wenn das deutsche Bürgertum vor etwas Angst hat, dann ist es der soziale Abstieg. Da ist Hosenschiss der Prinzregent! Und genau diese Angst vor dem sozialen Abstieg evoziert die B-Prominenz des Dschungelcamps. Es ist des braven Spießers Worst-Case-Szenario schlechthin, sich – abgestiegen und abgehalftert –  als käuflich outen zu müssen. Denn obwohl die bürgerliche Gesellschaft wesentlich und durch und durch merkantil und kommerziell ist, ist die Verleugnung der eigenen Käuflichkeit Teil ihres Selbstverständnisses. In dieser Hinsicht verstößt der Dschungelporno also gegen die guten Sitten, ähnlich wie Prostitution gegen die guten Sitten verstößt, indem sie den Marktcharakter unserer Sexualität kompromittiert.

Genug schwadroniert, gleich geht’s wieder los. Der Fernseher ist schon an.

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