Informationelle Fürsorge

Gestern habe ich einen taz-Kommentar gelesen, der mich daran erinnert hat, warum ich schon seit Jahren kein „Linker“ mehr sein kann und will und weshalb mir mittlerweile „Linke“ nicht weniger auf den Sack gehen als „Rechte“.

Das Überraschende an Daniel Bax Einlassungen, seiner Kritik an der medialen Repräsentation der Kölner Silvesterfeierlichkeiten, ist dabei weniger ihr Inhalt als vielmehr die Offenherzigkeit, mit der er an probate Ansätze der deutschen Volkspädagogik aus den 30ern und 40ern, bzw. aus der DDR-Zeit anknüpft. Nur mit dem Unterschied, dass diesmal halt nicht ein fürsorglicher Staat, sondern ein verantwortungsvoller Zeitungsredakteur sich Sorgen über die schädlichen Folgen von Informationsüberfluss macht. Verständlich, denn nichts fördert das volksgemeine Vorurteil mehr als die Kenntnisnahme von Sachverhalten:

Längst vorbei sind auch die Zeiten, in denen es zu den journalistischen Standards gehörte, die Nationalität oder Herkunft von mutmaßlichen Straftätern nicht zu nennen.Im Pressekodex, den sich die im Deutschen Presserat zusammen geschlossenen Medien einmal freiwillig und aus gutem Grund auferlegt haben, heißt es dazu, die Nennung der Religion oder Herkunft der Täter sei nur dann erwähnenswert, wenn es einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat gebe. Zu beachten sei, „dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“.
Diese Standards sind längst erodiert. Denn in Zeiten von sozialen Medien und Internet ist es ohnehin eine Illusion zu glauben, bestimmte Informationen ließen sich außen vor lassen.

Abgesehen davon, dass zur handelsüblichen descriptio personae seit Urzeiten Angaben zur Herkunft, Geschlecht, Stand, etc. gehören und zwar nicht, weil diese Angaben argumentativ gewichtig wären, sondern weil sie nun einmal in der Kommunikation von Menschen einen gewissen Grad von Anschaulichkeit gewährleisten, wäre es doch durchaus bedenkenswert, wenn der interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben würde, selbst zu beurteilen, wie relevant oder irrelevant im vorliegenden Fall Angaben zum Personkreis wären, ohne dass Herr Pax den Lesern gleich eine falsche Dichotomie in die Gehirngänge brennt. Auch wenn nicht jeder Zeitungsleser so intelligent wie Daniel Pax ist, müssen etwaige Fehlschlüsse und nicht-ideologiekonforme Deduktionen nicht zwingend Folge informationeller Selbstbestimmung sein und sind zudem und womöglich als Teil des allgemeinen demokratisch-hermeneutischen Lebensrisikos zu betrachten. Ich kann verstehen, wenn ein Gesinnungsblatt wie die taz in Sachen Denkfehler nichts anbrennen lassen möchte – recht und billig ist es, den eigenen Lesern verstörende Sachverhalte zu ersparen – doch warum muss das Paxsche Verantwortungsbewußtsein gleich zur allgemeinen Norm erhoben werden? Daran kann die restliche Journaille doch nur scheitern!

Erstaunlich auch wie schnell diejenigen, die ansonsten keine Gelegenheit auslassen, den Einfluss von Sozialisation und Enkulturation auf unser Denken und Tun herauszustellen, im Bedarfsfalle zum Schutz der eigenen Glaubenssätze diese ignorieren. Wenn also Sozialisation und Enkulturation, sprich Herkunft, keine Erklärungsansätze für Vorkommnisse der Kölner Art bieten darf, was eigentlich dann? Wäre ein völlig falsch verstandener Biologismus sensu Björn Höcke vielleicht genehm, weil leicht widerlegbar? Oder müssen wir uns die Ereignisse als quantenmechanischen Spuk vorstellen, als spontane Emanation des höchst Unwahrscheinlichen?

Und wie sähe eigentlich eine korrekte, vorurteilsverhindernde, anti-stigmatisierende Berichterstattung aus? Warum sollte überhaupt der Ort des Geschehens genannt werden? Führt das nicht unweigerlich zu einer selektiven Wahrnehmung der schönen Domstadt? Warum müssen das Geschlecht von Opfern und Tätern aufgeführt werden? Führt das nicht zwangsläufig zu Stereotypen unschönster Art? Uns warum überhaupt die Unterscheidung von Opfern und Tätern? Wozu die Schwarz-Weiß-Malerei? Ist nicht sowieso die Gesellschaft an allem Schuld:

Am 31. Dezember ereigneten sich Vorfälle in einer der Redaktion bekannten Stadt. Näheres weiß man nicht und kann man nicht sagen, ohne das unschuldige Wellenfunktionen kollabieren. Zeugenaussagen sind irrelevant. Opfer gab es wahrscheinlich auf beiden Seiten. Vor vorschnellen Vorurteilen wird gewarnt. Das alles kommt von sozialer Ungerechtigkeit. Wir haben schon immer davor gewarnt.

2 comments on “Informationelle Fürsorge

  1. Emmanuelle 9. Januar 2016 18:12

    Ist es denn gesichert, dass es sich um den 31.12. handelt? ich fände es sehr unschön, wenn Silvester grundlos in Verruf käme.

    • Halbmast 9. Januar 2016 19:54

      Teile meiner Antwort wären geeignet, Stereotypen zu evozieren, weshalb ich um Verständniss bitte, mich nicht zu äußern.

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