Knausgård lesen oder nicht?

Im Rahmen einer Dinnerpartyzwangskonversation sah ich mich unlängst gezwungen, unauffällig und hurtig das Thema zu wechseln als die Sprache auf Karl Ove Knausgård kam. Soweit ist es also schon gekommen: alle, die des Lesens und des Schreiben kundig sind, kennen anscheinend den zauseligen Reinhold-Messner-Lookalike – nur ich nicht!

Jaaaa, sicher ähm, klar… ein interessantes autobiographisches Projekt, sicher ähm…Prost!… ein ganz enormer Skandinavier ist der Bursche, ähm… zweifelsohne dieser Knausgård ist mir schon einer! Ein Norweger, nicht wahr?…Prost!…übrigens bin ich momentan ganz von Safranskis Goethe-Biographie gefesselt, muss man gelesen haben! blablabla…

Lesen kostet Zeit und im Frühherbst meiner Tage ist die knapp. Abwägen tut da not. Soll ich also Knausgård lesen, um auf der nächsten Party unbeschwert mitplaudern zu können oder gönne ich mir eine kecke, antizyklische Wissenslücke?

Contra: Ich habe eigentlich keinen Bock auf langwierige Exkursionen durch Pyschohausen und Knausgårds Idee einer schonungslosen Selbstentblößung kann einem wie mir, dem das nackte Gesicht des Mitmenschen schon fast zuviel Selbstentblößung ist, auch nicht recht gefallen. Was käme da an reaktionärem Authentizitätsterror auf mich zu? Und schließlich: unterbietet die unbekümmerte Wiedervereinigung von Autor und Erzähler nicht die Reflexionsstandards des coolen Erzählens? Droht mit Knausgård womöglich eine Ära der neuen Ernsthaftigkeit sensu Georg „Intelligenzbolzen“ Dietz? Das wäre fürchterlich! Das sollte man nicht noch mit Lektüre unterstützen!

Pro: Wäre ein raue und schmucklose Selbstentblößungsprosa nicht andererseits ein netter Gegenentwurf zum isotropen Kultur- und Kunstfuzzitum mit seinem feinem Getue? Zu den Lebenslügengespinsten der Spießer und den Selbstverklärungsorgien der Lifestyle-Bacchanten? Das wäre doch wirklich mal zu überpüfen, oder? Und außerdem ist Literatur ja nicht dazu da, unsere vorgefassten Meinungen zu bestätigen, Romane sind kein Convenience-Food, ein guter Leser geht dahin, wo’s weh tut, Erkenntnis macht Aua, etc.

Conclusio: Im Zweifel für den Angeklagten! Ich mach’s, ich les‘ Knausgård.

Doch leider komme ich nur bis zum 4. Satz.

Da muss ich nämlich lesen, da steht ernsthaft, da steht in echt, dass Knausgård das Konzept des „Urlaubs“ nicht versteht. Behauptet er wenigstens. Er kenne das nicht – Urlaub. Er kenne nur weitermachen, weitermachen und weitermachen.

Was soll das? Er kennt das Konzept „Urlaub“ nicht? Häh? Rumhängen, lecker Essen, Frauen hinterhergucken, Gags reißen, Im Wasser plantschen – was gibt es daran nicht zu verstehen? Ist der Mann auf heiliger Mission? Schreibt er Arbeitgeber-Literatur? Will er das Loblied der Manie singen? Er kenne das Konzept „Urlaub“ nicht?

Ich mag das nicht. Okay, es ist nur eine Kleinigkeit, aber manchmal entscheiden eben Kleinigkeiten, wo sich die Wege trennen. Mag Karl Ove Knausgård das Konzept „Urlaub“ nicht verstehen – ich verstehe das Konzept „Karl Ove Knausgård“ nicht.

Außerdem schreibt er ohne Absätze, was auch nicht geht.

 

5 comments on “Knausgård lesen oder nicht?

  1. Alaska 19. November 2015 20:48

    „Pro: Wäre ein raue und schmucklose Selbstentblößungsprosa nicht andererseits ein netter Gegenentwurf zum isotropen Kultur- und Kunstfuzzitum mit seinem feinem Getue? Zu den Lebenslügengespinsten der Spießer und den Selbstverklärungsorgien der Lifestyle-Bacchanten?“

    Apropos.

    Ich werde ab demnächst übrigens meine Metrosexualität ungehemmt ausleben.

    Am Samstag gehe ich erstmals zur Maniküre. Zu Douglas.

    • Halbmast 21. November 2015 10:45

      Ganz schön mutig, Alaska! Ich würd‘ mich das nicht trauen. Wenn ich an einem Douglas-Geschäft vorbei komme, wechsel ich immer auf die andere Straßenseite, weil da so ein penetranter Geruch rauszieht. (Meine Fingernägel schleif ich mir übrigens immer an irgendwelchen Betonwänden ab, das geht auch.)

      • Alaska 22. November 2015 21:15

        Es war recht angenehm, die Maniküresse sehr sympathisch. Wir waren in ihrem Separée, vor neugierigen Blicken geschützt, in der Luft nur ein Hauch von Seifenduft.

        Ich habe gelernt, dass man eine Nagelschere nicht verwenden soll, nur die Nagelfeile und eine regelmässige Nagelpeeling-Massage mit Olivenöl und Zucker soll Wunder wirken.

        Nun fühle ich mich seelisch/moralisch mega-ausgeglichen und optimal gestärkt für die kommende Woche.

  2. Emmanuelle 3. Dezember 2015 17:08

    Mir hat heute jemand gesteckt, dass Slavoj Zizek zu den zwanzig inspirierendsten Persönlichkeiten unserer Zeit gehören soll, dies im Gegensatz zu anderen, zum Beispiel zu Dir. Mich macht das stutzig, weil Du mir gegenüber immer so getan hast, als wärest Du extrem inspirierend! Ich komme also zu dem Schluss, dass unter Deiner klugen Schale ein sehr dummer Kern stecken muss. Ich finde allerdings, dass Du wirklich sehr gut küssen kannst. Ich komme drauf, weil ich sagen muss: wenn es da heißt, Knausgard küssen oder Dich, wähle ich nun also, traun fürwahr, den inspirierenderen Zausel, den mit dem dummen Kern, es sei denn Slavoj Zizek steht noch zur Auswahl, da weiß ich nicht, wie der küsst. Da käme ich also ins Schwitzen, müsste ich da wählen, mit der Kusskatze im Sack. Bronco würde sagen, die drei finde ich beide gleich gut, aber der ist auch wirklich der ausgleichendste Mensch, den ich kenne.

    PS: Ach Mist, da steht ja „Knausgard lesen oder nicht“. Sorry also, nix für ungut.

    • Halbmast 4. Dezember 2015 11:26

      Liebe Emmanuelle, ich will das Urteilsvermögen deines Tipp-Gebers natürlich nicht in Frage stellen – mich persönlich hat Slavoj Zizek bisher allerdings nur zum Ignorieren inspiriert. Vielleicht war aber auch „Inspiration“ im Sinne von „paradoxale Inspiration“ gemeint: manchmal bringt einen ja gerade der bauerndümmste Unfug auf interessante ideen!
      Optisch geht Zisek zudem weniger in die Zausel- als vielmehr in die Waldschrat-Richtung. Ich denke bei mir bist du nicht nur kusstechnisch, sondern auch gesamtästhetisch besser aufgehoben!

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